Komponist Mauricio Kagel lässt Europa erobern; Regisseur Christoph Zauner hat Komik und Klamauk gut dosiert.

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Wien – Geschichtsschreibung war meist die Angelegenheit derer, die siegreich und mit Waffengewalt Geschichte gemacht haben. Den Argentinier Mauricio Kagel hat es früh gestört, dass der Tag der Entdeckung seines Kontinents dort als Dia de la Raza, als "Tag der weißen Rasse", pompös und kritiklos gefeiert wurde. Wieso das Ganze nicht umdrehen?

Der Aufbruch von Lateinamerika nach Europa, den der Komponist in seinem Leben selbst privat und in pazifistischer Weise vollzog, lässt er in Mare Nostrum (1975) einen Stamm aus Amazonien in kriegerischer Absicht unternehmen. Von der iberischen Halbinsel geht es entlang der Nordküste des Mittelmeers, des Mare Nostrum, ostwärts. Während der Eroberungsreise ist vonseiten des indigenen Stammes reichlich Spott und Verachtung für die Menschen der mittelmeerischen Kulturen zu erleben, am orientalischen Ende der Unternehmung steht ein Mord.

Ben Connor spielt und singt den usurpierenden Amazonier – mit pechschwarzem Vokuhila-Haar, Unterlippenbart, Lendenschurz und breiten Schultern ist er ganz Kraft und Macht. Für das Erzählen der eigenen Erfolgsstory hat Librettist Kagel der Figur ein fantastisch schräges Spezialdeutsch gezimmert: Durch das (Ver-)Wechseln einiger Buchstaben verschiebt sich die Sinnebene oft ins Tragikomische. Beeindruckend, mit welcher Souveränität und Exaktheit der australische Bariton den Text beherrscht, gewinnend auch sein Gesang. Rupert Enticknap betreibt Völkerverwandlung, wird vom Spanier zum Franzosen zum Griechen zum Türken und singt sich mit seinem sinnlichen Countertenor durch die Kulturen.

Die Szene (Nikolaus Webern) ist toll: Pinke Palmen, Büsche und Blumen umrahmen einen blau-grauen Meereshorizont. Konträr zur floralen Üppigkeit sind die vier auf der Bühne befindlichen Musiker (weitere zwei sowie der Dirigent befinden sich im Orchestergraben) seitlich in rechteckigen Vitrinen platziert. Sie lassen (unter der kundigen Leitung von Gelsomino Rocco) ein charmantes Sammelsurium an Klängen, Geräuschen und Stilzitaten hören, das Natur und Kultur, Sinnlichkeit und Komik in sich birgt.

Regisseur Christoph Zauner hat Komik und Klamauk feinfühlig dosiert, Szene und Musik zu einem innigen Mit- und Ineinander verwoben und die beiden tollen Hauptdarsteller in eine entspannte und gleichzeitig konzentrierte Spiellaune versetzt. Eine gelungene Sache, wie fast jede Produktion hier seit der Übernahme durch das Theater an der Wien. (Stefan Ender, DER STANDARD, 13.2.2014)