Sollen wir bei der kommenden Europawahl unsere österreichischen Parteien und ihre Spitzenkandidaten wählen oder die europäischen Parteien und deren Frontleute? Ist es wichtig, ob uns Eugen Freund oder Othmar Karas sympathisch sind oder nicht? Es geht unter anderem auch um den künftigen Präsidenten der Kommission. Sollten wir da nicht lieber gleich an den obersten Sozialdemokraten im Europäischen Parlament denken, Martin Schulz, und an die Schwergewichte der Europäischen Volkspartei, Jean Claude Juncker und Christine Lagarde?

Wir sind es nicht gewöhnt, europäisch zu wählen. Unser Horizont reicht nicht weiter als bis zu den Landesgrenzen, und was sich in der Parteienlandschaft außerhalb Österreichs tut, ist uns ziemlich schleierhaft. Die Europawahlen bringen uns dies sehr abrupt ins Bewusstsein. Wen wählen wir eigentlich, wenn wir im Mai unser Kreuzchen auf dem Stimmzettel machen? Wer sind die wichtigen Player auf der europäischen Bühne? Es gibt vermutlich nur wenige Österreicher, denen die Namen der EU-Kommissare geläufig sind, obwohl diese für unser Leben vermutlich wichtiger sind als unsere eigenen Minister. Die künftigen Kommissare wird die künftige Kommission bestimmen, und wer da infrage kommt, steht in den Sternen. Wir haben schlicht keine Ahnung.

Wer Kommissionspräsident wird, also der künftige Mister Europa, wird auch von der Zusammensetzung des zu wählenden Europaparlaments abhängen. Wen wünschen wir uns für dieses Amt? Einen starken Präsidenten, der mehr Macht für Brüssel einfordert und weniger für die Nationalstaaten? Oder umgekehrt, einen, der unsere Souveränität nicht allzu sehr beschneidet? Einen, der mehr europäische Einmischung in die Weltpolitik durchsetzen will? Oder einen, der eher für Zurückhaltung plädiert? Sozialdemokraten und Volkspartei liegen in Brüssel und Straßburg, ähnlich wie in Österreich, Kopf an Kopf. Wie stark sind die Liberalen, die Grünen und die Rechten? Was für Koalitionen sind möglich? Was weiß ein Fremder? Wir sehen die Europawahl durch das Verkleinerungsglas der heimischen politischen Szene.

Aber vielleicht ist diese Wahl in Wirklichkeit auch nicht mehr als ein Testlauf für die nächste Nationalratswahl? Werden sich die beiden angeschlagenen Regierungsparteien einigermaßen halten? Oder wird Heinz Christian Strache der große Sieger? Das sind Fragen, die die meisten Wähler vermutlich mehr beschäftigen als die Folgen für Europa. Und so, wie sich der beginnende Wahlkampf in Österreich derzeit anfühlt, wird er allem Anschein nach auch eher innenpolitisch als europäisch ablaufen.

Wir sind als europäische Bürger zur Wahl gerufen. Aber sind wir europäische Bürger? Wissen wir genug Bescheid, um verantwortungsvoll zu wählen? Manche Proeuropäer träumen von einer Direktwahl des Kommissionspräsidenten durch das europäische Wahlvolk. Gibt es so ein Wahlvolk überhaupt? Derzeit wohl eher nicht. Wenn wir im Mai wählen gehen, werden wir diesen Wahlgang eher als eine Art Zwischengang zwischen den Nationalratswahlen empfinden.

Wir spielen Europa, aber im Grunde sind wir Provinzler. (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 13.2.2014)