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Hersteller des Ahornsirups kämpfen gegen falsche Etiketten und gepanschte Ware.

Foto: Reuters / Brian Snyder

Ronald Castonguay aus St. Lazare wartet auf die Ahornsirup-Ernte. Das Handwerk der Herstellung hat er als Kind von seinem Großvater gelernt. Die weißen Siedler wiederum schauten es den Algonquin-Indianern ab, die sich nicht hätten träumen lassen, dass in Kanada daraus eine weltweit führende Industrie entstehen würde.

Hinter Castonguays Haus in Quebec stehen 300 Ahornbäume, in deren Stämme er Zapfhähne schlägt, bis der Saft in die umgehängten Eimer rinnt. Mitte März ist es wieder so weit, wenn die Temperatur nach einem Frost etwa auf fünf Grad Celsius steigt. Die geerntete Flüssigkeit wird über Holzfeuer gekocht, bis der Sirup seine goldene Farbe und den typischen Geschmack erhält. Für einen Liter Sirup braucht es etwa 40 Liter Saft. Im Kochprozess wird der Zuckergehalt von ursprünglich zwei bis drei Prozent auf 66 Prozent erhöht. Für Castonguay ist das noch Handarbeit. "Ich brauche kein Thermometer, um festzustellen, ob der Sirup heiß genug ist", sagt er. Er lässt einfach einen Tropfen auf die Innenseite seines Handgelenkes fallen.

"Vergnügen für die Familie"

Die großen Produzenten in Kanada haben die Herstellung indes automatisiert, mit kilometerlangen Plastikschläuchen, Vakuumtechnologie zwischen den Bäumen und mit modernen Gas- und Ölboilern. Es gebe entweder die ganz kleinen Produzenten wie ihn, sagte Castonguay, oder die ganz großen, aber praktisch keine mittleren Betriebe mehr. "Die kleinen machen es zum Vergnügen, für die Familie", sagt er.

Ein gutes Geschäft ist es aber für Kanadas Ahornsirup-Industrie, die größte Produzentin der Welt. Aus der Provinz Quebec kommen rund drei Viertel des weltweiten Nachschubs; im Vorjahr waren es 55.000 Tonnen. Auf Platz zwei folgt der US-Bundesstaat Maine mit weniger als zehn Prozent der Weltproduktion. Quebec wird daher auch das "Saudi-Arabien des Ahornsirups" genannt. Allerdings ist ein Fass Ahornsirup derzeit 13-mal teurer als ein Fass Rohöl.

Die Industrie setzt laut dem Magazin Canadian Business weltweit mehr als 325 Millionen Euro um. Wie wichtig Kanada in diesem Markt ist, zeigte sich in Europa durch einen spektakulären Raub: Zwischen August 2011 und Juli 2012 verschwanden mehr als 9100 Fass (knapp 2500 Tonnen) Ahornsirup in Wert von rund zwölf Mio. Euro spurlos aus einem Warenhaus, etwa 150 Kilometer von Montreal entfernt. Es war ein filmreifer Coup, der Schlagzeilen rund um den Globus machte und auch Spott auslöste.

Die Welt hörte mit Erstaunen, dass es in Quebec unter Aufsicht des Produzentenverbandes einen strategischen Ahornsirup-Vorrat von 22.700 Tonnen gibt. Der Verband schreibt vor, dass jeder von Quebecs 7500 Produzenten nur bis zu 75 Prozent der Durchschnittsmenge der zwei besten Jahre verkaufen darf. Der Rest wandert in die Reserve. Den Erlös dafür erhalten die Verbandsmitglieder erst, wenn der Sirup verkauft ist - was Jahre dauern kann.

In Kanada ist Ahornsirup eine ernsthafte Angelegenheit. Der Händler Etienne St. Pierre aus der Provinz New Brunswick musste sich sogar einem Lügendetektortest unterziehen, weil er ab und zu Ahornsirup von Produzenten aus Quebec kauft, was dem mächtigen Verband dort ein Dorn im Auge ist. Die Polizei Sûreté de Québec beschlagnahmte St. Pierres Gabelstapler, Schubkarren und Ahornsirup im Wert von einer Million Euro. Nichts davon hat St. Pierre bislang zurückbekommen.

Verband hält Zügel fest

Der Anwalt Hans Mercier vertritt aufmüpfige Produzenten in Quebec, die ihren Sirup frei verkaufen möchten. Derzeit geht alles über den Verband, der ihnen 21 Cent pro Kilogramm abknöpft. Wer sich nicht an das Syndikat hält, sagt Mercier, werde mit hohen Bußen und Strafen belegt. Der Verband argumentiert mit wirtschaftlichen Überlegungen. Die strikte Kontrolle sei nötig, um starke Preisschwankungen zu vermeiden und um die Produktion zu stabilisieren, sagt Verbandssprecher Paul Rouillard. So könne man auch gute Preise mit mächtigen Käufern wie Handelsketten vereinbaren.

In Amerika regiert der freie Markt für Ahornsirup. Einst hatten die USA die Produktion dominiert. Aber als ab den Vierzigerjahren der Rohrzucker den Ahornzucker immer mehr verdrängte, wuchs Kanadas Produktion stetig. Heute werden rund zwei Drittel des kanadischen Sirups in die USA exportiert. Auch Asien ist ein vielversprechender Markt geworden: Ein Zehntel von Kanadas Produktion wird derzeit in Japan verkauft. Findige Unternehmer haben die Produktepalette um ein Ahornparfüm und ein Getränk aus Ahornwasser erweitert.

Was teuer und begehrt ist, lockt auch Fälscher an. Gepanschter Ahornsirup, verdünnt mit billigem Zuckersirup, findet zunehmend seinen Weg unter falschen Etiketten in den nordamerikanischen Markt. Auch Europa bleibt nicht verschont: Die Ahornsirup-Fans wachsen, müssen sich aber vorsehen, denn wer Ahornsirup kauft, sollte sich nicht von Angaben wie "echter Sirup mit Ahorngeschmack" oder "Tafelsirup" und falschen Etiketten täuschen lassen. Ahornsirup enthält - wen wundert's - echten Ahornsirup (und nicht Sirup aus Mais). Ein halber Liter kanadischer Ahornsirup kann bis zu 16 Euro kosten. Nicht zufällig nennt man ihn "das flüssige Gold". (Bernadette Calonego aus Vancouver, DER STANDARD, 17.2.2014)