Einsame Seelen in einem neondurchschienenen Drama um eine Mordserie: Liao Fan und Gwei Lun Mei in "Black Coal, Thin Ice" von Diao Yinan, dem Gewinner des Goldenen Bären.

Foto: Berlinale

Es waren eigensinnige, jedoch durchaus mit viel Fingerspitzengefühl getroffene Entscheidungen, welche die Jury der 64. Berliner Filmfestspiele am Samstagabend präsentierte: Mit der Vergabe des Goldenen Bären an Bai Ri Yan Huo / Black Coal, Thin Ice, den dritten Spielfilm des Chinesen Diao Yinan, sowie dem Schauspielpreis an dessen Hauptdarsteller Liao Fan würdigte man einen der visuell eindringlichsten Filme des Wettbewerbs gleich doppelt. Der Coming-of-Age-Film Boyhood, der Favorit der Herzen, bekam am Ende nur den Preis für die beste Regie: Richard Linklater war bei den Dankesworten ein klein wenig anzusehen, dass er sich mehr erhofft hatte.

Der Chinese Diao Yinan dagegen war sichtlich gerührt und musste sich erst fassen, bevor er erste Worte fand. Der 45-jährige Filmemacher hatte bereits mit Night Train, einem Film über eine im Todestrakt eines Gefängnisses arbeitende Frau, in Cannes auf sich aufmerksam gemacht und 2007 den Un-certain-regard-Preis bekommen. In Black Coal, Thin Ice, einem stilistisch eleganten, in Neonfarben getauchten Film noir, nutzt er nun eine Mordserie rund um die Jahrtausendwende, um eigentlich von einsamen Seelen in nebelverhangenen Industriestädten zu erzählen.

Liao Fan spielt den Ex-Polizisten Zhang, eine verlotterte Existenz, der an einen älteren Fall anzuschließen beginnt, als er von neuerlich brutal ermordeten Opfern unter Fabriksleuten erfährt. Die Spur führt zur schwarzen Witwe Wu Zhizhen (Gwei Lun Mei), der schweigsamen Femme fatale dieses Films, zu der der Ermittler bald zu wenig Distanz hält. Diao Yinans Handschrift ist kontrolliert und kühl, mit gelegentlichen Einschüben von Komik. Besonders beeindruckt, wie er Schauplätze und unorthodoxe Kameramanöver verwendet, um dem Film eine drückende Atmosphäre zwischen Melancholie und Aberwitz zu verleihen.

Die Jury um US-Produzent James Schamus, der unter anderem auch Christoph Waltz, Michel Gondry und Greta Gerwig angehörten, konnte sich besonders für das asiatische Kino erwärmen: Die Japanerin Haru Kuroki wurde für ihren Part eines Dienstmädchens in Yoji Yamadas betulich-klassizistischem Familiendrama Chiisai Ouchi / The Little House als beste Darstellerin ausgezeichnet. Zeng Jian, der Kameramann von Lou Yes Tui Na / Blind Massage erhielt für seine luftigen, milchigen Bilder eines Massageklubs den Sonderpreis für eine herausragende künstlerische Leistung.

Förderpolitisches Dilemma

Erfreulich waren weitere Auszeichnungen für so unverwechselbare Autoren wie Wes Anderson (Großer Preis der Jury für The Grand Budapest Hotel) und Alain Resnais (Alfred-Bauer-Preis für Aimer, boire et chanter). Diese Entscheidungen mag man auch als Diktum gegen die primär europäischen Themenfilme sehen, die das Niveau im Wettbewerb gedrückt haben. Dies ist nicht allein ein kuratorisches Dilemma, sondern auch jenes einer Förderpolitik, die sich zu stark von Inhalten beeinflussen lässt - gerade weil sie auch Brancheninteressen berücksichtigen, sollten sich Festivals wie die Berlinale gegenüber dieser Entwicklung klarer positionieren. Man verweist gerne auf den Publikumserfolg beziehungsweise die Befriedigung möglichst diverser Interessen; von künstlerischen Auseinandersetzungen ist insgesamt zu wenig die Rede.

Von den vier deutschen Beiträgen im Wettbewerb konnte jedenfalls nur Dominik Grafs schwungvoller Historienfilm Die liebenden Schwestern überzeugen, der leider leer ausging. In einem Interview im Berliner Tagesspiegel wiederholte der Regisseur seine schon mehrmals formulierte Kritik an einer zahnlosen Konsenskultur: "Die Radikalität, das schmutzige andere Kino wird in der protestantischen Berliner Republik zu einer bedrohten Spezies."

Bisweilen läuft es auch andersherum, wie im Fall von Dietrich Brüggemanns Kreuzweg, der mit dem Preis für das beste Drehbuch prämiert wurde. In dem in ungeschnittenen Sequenzen erzählten Drama um das Mädchen Maria Göttler (sic!), das sich im religiösen Eifer in den Tod hungert, ist die Anstrengung, den Aufreger des Festivals zu liefern, förmlich mit Händen zu greifen. Das Ergebnis ist allerdings nicht nur vordergründig, sondern stellenweise auch lachhaft überspannt. Funktioniert hat die Strategie scheinbar trotzdem.

Österreichische Erfolge

Für das österreichische Kino war diese Berlinale schon allein durch die ungewöhnlich hohe Anzahl an Filmen in den verschiedenen Sektionen des Programms ein Erfolg. Sudabeh Mortezais Spielfilmdebüt Macondo um die Verirrungen eines tschetschenischen Buben in Wien fand durchaus wohlwollende Resonanz. Johannes Holzhausens verdichtetes dokumentarisches Porträt der verzweigten Räumlichkeiten des Kunsthistorischen Museums, Das große Museum, wurde mit dem Caligari-Preis ausgezeichnet. Der neue Dokumentarfilm von Hubert Sauper, We Come as Friends, eine Langzeitbeobachtung der Unabhängigkeitsbestrebungen im Südsudan, erhielt den Friedenspreis. (Dominik Kamalzadeh aus Berlin, DER STANDARD, 17.2.2014)