Ein Toter zahlt ein: Detail aus Silvia Stantejskys Excel-Datei.

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Langsam lichten sich ein paar Nebelschwaden rund um die Bilanzen des Burgtheaters. Aus dem Zwischenbericht von KPMG wird deutlich, dass Silvia Stantejsky, die fristlos entlassene Vizedirektorin, als kaufmännische Geschäftsführerin unter enormem Druck gestanden haben muss. In der Zusammenfassung, die dem Standard zumindest in Teilen vorliegt, wird ein Kredit bei der Hausbank erwähnt. Ein Aufsichtsratsbeschluss aus dem Jahr 2011 sah vor, dass der Kreditrahmen jährlich um 750.000 Euro zu reduzieren war. Aufsichtsratsvorsitzender ist Georg Springer, der Chef der Bundestheaterholding.

Diese "strenge Vorgabe" wurde von Stantejsky auch zum jeweiligen Stichtag (30./31. August) eingehalten. Die Kassa sei dabei "wesentliches Instrument der Liquiditätssteuerung" gewesen: In allen drei untersuchten Jahren, in denen Stantejsky Geschäftsführerin war, habe es zum Abschluss des Geschäftsjahres "hohe Einzahlungen in die Kassa" gegeben. Dadurch seien Liquiditätsengpässe verschleiert worden: "Es gibt Indizien dafür, dass Frau Stantejsky, um Löcher zu stopfen, Mittel mit gefälschten Belegen in die Burgtheater GmbH eingebracht hat."

Die Forensiker fanden eine Excel-Datei, die Stantejsky am 26. November 2012 erstellt habe. Laut dieser sollen am 30./31. August 2012 insgesamt 176.502,84 Euro von diversen Personen (darunter auch von Stantejsky selbst) in die Kassa eingezahlt worden sein. Auf der Liste findet man bekannte Namen wie Karin Bergmann (ehemalige Vizedirektorin), Thomas Drozda (ehemaliger kaufmännischer Direktor), Bandoneon-Musiker Rocco Boness, Bühnenbildner Raimund Bauer, Komponistin Elena Chernin sowie die Regisseure Karin Beier und Nicolas Stemann.

Christoph Schlingensief und seine Frau Aino Laberenz, eine Kostümbildnerin, sollen auch Beträge eingezahlt haben. Man darf sich fragen, wie Schlingensief das gemacht hat. Denn der Aktionskünstler starb am 21. August 2010 - und war daher Ende August 2012 garantiert nicht in der Lage, eine Überweisung zu tätigen.

Gefälschte Unterschriften

Die Wirtschaftsprüfer recherchierten bei noch lebenden Personen nach: "Ein Großteil dieser Transaktionen wird in Abrede gestellt. Darüber hinaus wurde teilweise von Gesprächspartnern die auf den vorgelegten Belegen ersichtliche Unterschrift nicht als deren eigene identifiziert."

Die Herkunft der Mittel für dieses "Loch auf, Loch zu" sei nicht nachvollziehbar: Es könnte sich um privates Vermögen von Stantejsky handeln - oder um Vermögen von diversen prominenten Künstlern, das sie treuhänderisch verwaltete. Sie habe für diese sogenannte "Depots" angelegt.

Die Ende August 2012 verbuchten Einzahlungen sollen laut der Datei im Oktober und November 2012 beinahe zur Gänze wieder ausbezahlt worden sein. Doch: "Die Durchführung dieser Transaktionen wird von diesen Gesprächspartnern in Abrede gestellt", heißt es im Bericht. Eine ähnliche Systematik - hohe Bareinzahlungen an den letzten Tagen des Geschäftsjahres, denen Auszahlungen in selber Höhe am Beginn des folgenden Geschäftsjahres gegenüberstehen - konnte auch für 2011 und 2013 festgestellt werden. Die gesamte Schadenshöhe sei "aufgrund von unterjährigen Entnahmen von Geldmitteln ohne Kassenbucheintragung" nicht genau zu eruieren.

Containerorganisation

Zudem wurden über die Kassa hohe Zahlungen "in erster Linie durch Akonti durchgeführt". Man müsse die Vorgangsweise insbesondere bei Gehaltsvorschüssen und Spesenabrechnungen "als fremdunüblich" betrachten. Laut Kassabuch wurden den Honorarempfängern in den Jahren 2011, 2012 und 2013 in Summe rund 129.000 Euro zu viel ausbezahlt. "Es konnte nicht nachvollzogen werden, ob ein eventuell höherer Anspruch tatsächlich bestanden hat, da weder ein Vertrag noch eine Honorarnote zu den entstandenen Verbindlichkeiten bei der Burgtheater GmbH vorlagen."

Doch wie war es möglich, dass Stantejsky so agieren konnte? Die KPMG-Forensiker meinen, dass sie die kaufmännische Direktion "sehr zentralisiert gesteuert" und "wie eine Containerorganisation" geführt habe. Sie soll ein "intransparentes Umfeld geschaffen" haben, um "Vorgänge zu verschleiern". Es sei daher verunmöglicht worden, "ein wirksames internes Kontrollsystem zu etablieren".

Diese Erkenntnis hat Brisanz. Denn KPMG hatte bei der Prüfung des Abschlusses 2011/12, "keine wesentlichen Schwachstellen des internen Kontrollsystems" feststellen können. Auch der Vorgänger, PricewaterhouseCoopers, war zu einer ähnlichen Erkenntnis gekommen: "Die Unternehmensabläufe werden durch ein erfolgreich implementiertes und umfassendes internes Kontrollsystem überwacht."

Man muss sich nun fragen: War Stantejsky so durchtrieben? Oder waren die Wirtschaftsprüfer so schlampig? Hat nur Stantejsky die Bundestheaterholding in Sicherheit gewiegt? Oder waren das auch die Prüfer? Die Fachleute von KPMG kommen jedenfalls jetzt zum Schluss, dass Silvia Stantejsky "nicht im Sinne der Geschäftsleitungspflichten gehandelt" habe, und dass die finanzielle Situation den "Stakeholdern", darunter dem Aufsichtsrat, "falsch wiedergegeben" worden sei.

Doch die "Verschleierungen" sind nur ein Problem. Wie berichtet, drohen bis zu fünf Millionen Euro Steuernachzahlungen, weil bei Schauspielern und Regisseuren aus Deutschland nicht die Quellensteuer einbehalten wurde. Angeblich prüft die Steuerfahndung nun rückwirkend die Honorare der letzten sieben Jahre.

Auch hier stellen sich Fragen: Hat man vergessen, ein Formular auszufüllen? Oder geschah die Auszahlung des gesamten Betrags bewusst? Und wer übernimmt die Verantwortung? Thomas Drozda, der kaufmännische Direktor bis 2008 (und seither Generaldirektor der Vereinigten Bühnen Wien), sagt, dass auch zu seiner Zeit für diesen Bereich Silvia Stantejsky zuständig gewesen sei. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 17.2.2014)