STANDARD: In einer Talkshow sagten Sie einmal: "Es vergeht kein Tag in der Politik, ohne verzweifelt zu sein." Was lässt Sie an der Politik verzweifeln?
Echerer: Für mich war es ungewohnt, mit so vielen unterschiedlichen Menschen übereinstimmen zu müssen. Manchmal verzweifelt man auch an den langen Entscheidungswegen, weil für gewisse Probleme eben jetzt konkrete Lösungen gefunden werden müssen – und nicht erst in zwei Jahren, wenn die Schäden bereits nicht wiedergutzumachen sind.
STANDARD: Waren Sie bereits in Ihrer Schulzeit politisch aktiv?
Echerer: Das liegt auch in meiner Familiengeschichte begründet: Mein Vater gehörte im Zweiten Weltkrieg zur Generation der ganz Jungen, die als Kanonenfutter ins Feld geschickt wurde. Meine Mutter entstammt der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen, das früher zum österreichischen Kaiserreich gehört hat. Es ist ein wunderschöner Landstrich mit vielen Ethnien, aber die Familie meiner Mutter gehörte halt zu einer Minderheit, was man unterm Kommunismus deutlich zu spüren bekommen hat. In diesem Spannungsfeld wuchs ich auf, und als Jugendliche stellt man dann Fragen, die nicht gern gehört wurden. Gewisse Dinge waren in der Schule und der Gesellschaft tabu. Nicht für meine Eltern, sie waren offen und gesprächsbereit.
STANDARD: Von 1999 bis 2004 waren Sie für die Grünen im EU-Parlament, ohne jedoch Parteimitglied zu sein. Warum?
Echerer: Wenn ich einem Klub beitrete, begebe ich mich damit auch in eine gewisse Abhängigkeit. Als Künstler haben wir letztlich den Auftrag zu unterhalten, doch in dieser Unterhaltung liegt oft auch eine Kritik. Und ich möchte frei sein in meiner Kritik, nicht beengt durch das Korsett einer Mitgliedschaft.
STANDARD:: Am 25. Mai finden die Europawahlen statt. In Österreich gibt es viele Jugendliche, die sich kaum dafür interessieren. Warum sollten wir zur Wahl gehen?
Echerer: In den nächsten drei Monaten einen Crashkurs zu machen und die Jugend mit ein paar Comicheften abzuholen ist nichts weiter, als sich Wahlfutter zu suchen. Die Jugend für Politik zu interessieren ist ein langfristiges Projekt. Man muss eine Atmosphäre schaffen, in der Politik interessant wird, auch in der Schule. Begleitend zum Geschichtsunterricht sollte es politische Bildung geben, und zwar schon ab der Unterstufe. Wenn man Jugendliche auch emotional abholen kann, sei es durch kulturelle Projekte, einen guten Film oder ein spannendes Buch, dann können sie auch mit dem Herzen begreifen, dass jede Stimme wirklich etwas auslöst.
STANDARD: Zum Beispiel?
Echerer: Die Unzufriedenheit vieler Österreicher kann dazu führen, dass europafeindliche Parteien sehr viele Stimmen bekommen. Stellen Sie sich doch nur mal vor, dass in einem europäischen Parlament eine Mehrheit von europafeindlichen Abgeordneten säße!
STANDARD: Gibt es Parallelen zwischen Schauspielerei und Politik?
Echerer: Wenn man als Politikerin nicht authentisch ist, wird man in kürzester Zeit unglaubwürdig. Zwar hilft mir die Sprechausbildung, aber wenn ich dabei nicht selbstbewusst und authentisch auftrete, nützen mir meine schauspielerischen Fähigkeiten gar nichts.
STANDARD: Würden Sie gerne Ihre Schulzeit mit jener Ihrer heute 20-jährigen Kinder tauschen?
Echerer: Ich hatte eine schreckliche Schulzeit. Zwar gab es einzelne Lehrer, die ich auch heute noch sehr verehre, aber diese zwölf Jahre Schule waren für mich ein Horror. Meine Tochter hingegen war am Gymnasium sehr glücklich. Mein Sohn hatte neun schreckliche Pflichtschuljahre, bis er an die sehr fordernde "Walz" gewechselt ist. Innerhalb weniger Monate wurde aus einem frustrierten und durchwachsenen Schüler ein hochmotivierter Einserkandidat.
STANDARD: Hat sich im Schulsystem viel verändert seit Ihrer Jugend?
Echerer: Aus meinem Umfeld kenne ich viele junge Menschen, die mit dem Leistungsdruck in der Schule ein riesiges Problem haben. Natürlich soll die Schule auch Wettbewerb sein, aber zu allererst muss sie ein Ort sein, wo du nicht Wissen anhäufst, sondern lernst, wie du dir Wissen aneignen kannst. (Maria Liebhaber, Jakob Pflügl, DER STANDARD, 17.2.2014)