Christian Müller-Uri: "Wir sorgen dafür, dass Preise eingehalten werden und niemand aus Patienten Kapital schlägt."

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STANDARD: Der EuGH kritisiert die Bedarfsregelung für Apotheken in Österreich. Das festgelegte Einzugsgebiet von 5500 Personen, das Apotheken einen Schutz vor Konkurrenz bietet, sei zu starr. Gibt es nun künftig mehr Wettbewerb?

Müller-Uri: Kritisiert wird nicht die Grenze als solche und auch nicht die bedarfsgerechte Prüfung generell. Wir brauchen diese Bedarfsregelung, um die Versorgungssicherheit überall garantieren zu können. Und das wurde 2011 in einem Urteil auch anerkannt. Kritisiert wurde nun lediglich, dass die Grenze von 5500 Personen im Einzelfall zu starr sein kann und eben auch auf bestimmte örtliche Besonderheiten Rücksicht genommen werden sollte.

STANDARD: Es braucht also nicht mehr Wettbewerb?

Müller-Uri: Nein. Es gibt im Gesundheitswesen keinen Preiswettbewerb. In unserem Bereich sind die Höchstpreise amtlich festgesetzt. Es gibt auch ein Preiswerbeverbot. Ein Apotheker könnte natürlich mit den Preisen runtergehen, dürfte dafür aber nicht werben. Wir sind zudem verpflichtet, Dinge zu leisten, wie etwa keinen Betriebsurlaub zu machen, Nachtdienste in Abstimmung mit der Bezirkshauptmannschaft anzubieten, auch Öffnungszeiten sind vorgegeben. So ist kein Wettbewerb möglich, und internationale Beispiele zeigen, dass er nichts bringt.

STANDARD: Aber es gibt doch Länder, in denen Wettbewerb ohne diese Regelungen funktioniert.

 Müller-Uri: Die Beispiele zeigen, dass er eben nicht funktioniert. In Norwegen wurde die Kettenbildung erlaubt, in der Hoffnung, dass die Preise sinken. Das hat genau ein Jahr gewirkt, dann gab es nur noch drei Ketten, und die Preise sind gestiegen. In Deutschland gibt es keine Gebietsregelung mehr, was dazu führt, dass es viele Apotheken in Ballungszentren gibt und der ländliche Raum ausgedünnt wird. Die Apotheken übernehmen wichtige Aufgaben in der Arzneimittelversorgung, das sieht auch die EU so und hat deshalb auch mehrmals entschieden, hier den Wettbewerb eben zu beschränken.

STANDARD: Trotzdem sind die Preise hoch, nicht umsonst spricht man immer wieder von Apothekerpreisen.

Müller-Uri: Das stimmt so nicht. Der Begriff steht eigentlich für eine exakte Preisermittlung und Preisgarantie. Das hat man im Lauf der Zeit vergessen. Wir sorgen ja dafür, dass die Preise überall eingehalten werden und nicht jemand aus der Bedürftigkeit von Patienten Kapital schlägt. Es mag schon da oder dort stimmen, dass Preise hoch sind, die setzen aber nicht Apotheker fest, sondern werden von den Krankenkassen in Abstimmung mit der Industrie vorgegeben. Eine Freigabe der Preise würde nicht unbedingt dazu führen, dass diese nach unten gehen.

STANDARD: Sondern?

Müller-Uri: Im Benzinbereich sieht man ja, dass das Zulassen von Preisdifferenzen die Preise in die Höhe treibt. Hier hat man auch geglaubt, dass es billiger wird, wenn man den Markt öffnet.

STANDARD: Die Apotheken haben in der Vergangenheit gut gelebt: Bis vor wenigen Jahren gab es Vollbeschäftigung, die Preisspannen waren zwar gesetzlich festgelegt, aber doch immer noch hoch genug, um im Gegensatz zu vielen anderen Branchen trotz Konjunkturschwankungen gut zu verdienen.

Müller-Uri: Das ist aber nicht mehr so. Die Umsätze gehen zurück. Wir werden das Ende der Woche der Öffentlichkeit publik machen. Wir haben degressive Spannen. Das bedeutet, für teure Produkte gibt es niedrigere Spannen, für billige höhere. Nehmen wir als Beispiel ein Diabetesprodukt, das viele Menschen brauchen: Das wird pro Packung mit 100 Stück um fünf bis sechs Euro verkauft. Wenn ich da einen Euro Spanne drauf habe, müsste ich auch sehr viel davon verkaufen, damit ich auch die Beratung von Patienten bezahlen kann.

STANDARD: Wie hoch sind die Spannen im Durchschnitt?

Müller-Uri: Sie liegen gesamt etwa bei 17 Prozent. Das sagt aber wenig aus. Die großflächigen Patentabläufe der Pharmaindustrie haben dazu geführt, dass der Anteil an billigeren Generika stark steigt. Dadurch sinken die Umsätze, weil wir ja nicht mehr Produkte verkaufen. Wir haben hier ein Mengenproblem. Bei chronischen Krankheiten werden auch keine Blockbuster mehr von der pharmazeutischen Industrie kommen. Sie konzentriert sich auf Krebsmedikamente und Produkte, die sehr, sehr teuer sind.

STANDARD: Verdienen Sie dadurch nicht auch wieder mehr?

Müller-Uri: Nein. Bei hochpreisigen Produkten - ab einer Grenze von 200 Euro Einkaufspreis - ist die degressive Spannenregelung außer Kraft gesetzt. Hier gibt es nur noch eine fixe Spanne von 3,5 Prozent. Gleichzeitig ist aber gerade bei solchen Produkten die Beratung sehr wichtig, damit die Patienten die Medikamente auch richtig einnehmen. Die Compliance, also der Umstand, dass Patienten ihre vom Arzt vorgegebene Therapie auch tatsächlich einhalten, ist hier sehr entscheidend - auch fürs Gesundheitswesen, das pro Behandlung zum Teil fünfstellige Beträge ausgibt. Das Beispiel zeigt eben auch in diesem Punkt, dass Wettbewerb nichts bringt.

STANDARD: Dennoch kommt nun eine Marktöffnung über die Hintertür des Versandhandels. Welche Folgen wird das haben?

Müller-Uri: Wir sehen bereits, dass Versandhändler aus dem Ausland nach Österreich drängen. Das wird natürlich zu Wettbewerb führen, aber auch nur einige wenige Produkte verbilligen. Allerdings gibt es hier auch nicht die Verpflichtungen, die wir haben, und damit sind auch die Leistungen nicht garantiert. Wir werden etwa alle drei Jahre von der Behörde kontrolliert, ob unsere Lagerhaltung passt und wir alle Kriterien erfüllen. Überspitzt formuliert gilt das für einen rumänischen Versender nicht. Da fragt niemand, ob der Postler das Paket bei 40 Grad im Schatten vor der Türe abstellt und wie sich das auf ein Medikament auswirkt. Im besten Fall wirkt es einfach nur nicht mehr - im schlimmsten Fall wird es sogar gefährlich. Wir versuchen deshalb zu zeigen, welche Leistungen wir bieten. Mir fällt generell kein besseres System ein, das flächendeckend die entsprechende Versorgung mit Arzneimitteln garantieren würde. Darum kämpfen wir. (Martin Schriebl-Rümmele, DER STANDARD, 18.2.2014)