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Rafael van der Vaart und Hakan Calhanoglu, oder: Ratlosigkeit bei Alt und Jung.

Foto: apa/epa/Steffen

Seit Gründung der Bundesliga im Jahr 1963 ist der Hamburger SV ohne Unterbrechung Mitglied der höchsten deutschen Spielklasse. Beim "Bundesliga-Dino" sind sie stolz auf dieses Alleinstellungsmerkmal. Im Stadion und im Internet lässt der Klub eine „Bundesliga-Uhr“ für sich laufen.  Die Frage ist, wie lange die Uhr noch läuft. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie am letzten Spieltag dieser Saison bei dann knapp 51 Jahren erstmalig stehen bleibt. 

Im Februar 2014 ist der HSV dem Abstieg so nah wie noch nie. Der Klub befindet sich mitten in der womöglich größten Krise seiner Geschichte. Schon in den vergangenen Jahren war Hamburg keine Wohlfühloase gewesen. Intrigen und Streitigkeiten innerhalb des Vereins und Machtkämpfe zwischen Vorstand und dem eigenwilligen Milliardär und Investor Klaus-Michael Kühne sorgten für negative Schlagzeilen.

Auch auf dem Transfermarkt machte der Klub keine gute Figur: Ex-Manager Frank Arnesen holte mit Vorliebe Reservespieler seines vorherigen Arbeitgebers FC Chelsea, die teure Rückholaktion des damals 29-jährigen Rafael van der Vaart im Sommer 2012 konnte nur mit Kühnes Millionen realisiert werden. Zum 30. Juni 2013 ächzte der Klub unter knapp 100 Millionen Euro Verbindlichkeiten.

Negativ-Schlagzeilen

In dieser Saison hat es der HSV aber geschafft, alle Negativ-Schlagzeilen der vergangenen Jahre noch einmal zu übertreffen. Seit Saisonbeginn steckt das hochbezahlte Team im Abstiegskampf. Nationalspieler Dennis Aogo wird im August wegen eines privaten Mallorca-Kurztrip nach einer 1:5-Niederlage öffentlichkeitswirksam geschasst, Starspieler van der Vaart steht mehr wegen seiner Scheidung von Ehefrau Sylvie als seiner sportlichen Leistung im Fokus.

Im September muss der wortgewaltige aber erfolglose Thorsten Fink gehen. Schon damals fordert Investor Kühne in aller Öffentlichkeit die Absetzung von Manager Oliver Kreuzer, der gerade erst im Sommer für eine Ablöse im sechsstelligen Bereich aus Karlsruhe geholt worden war. Nicht die erste und auch nicht die letzte Einmischung Kühnes, der zwar kein Amt beim HSV inne hat, nach seinen Millionenhilfen bei Spielertransfers aber großen Einfluss besitzt. Neuer Mann am Ruder wird der Niederländer Bert van Marwijk.

Unter ihm nimmt der Niedergang im Winter erst richtig Fahrt auf. Bereits die Vorbereitung auf die Rückrunde steht unter schlechtem Licht. Im Dienste der Liga-Auslandsvermarktung absolviert der HSV ein Freundschaftsspiel in Indonesien, das Trainingslager findet in Abu Dhabi statt. So tauscht der HSV wertvolle Trainingszeit gegen eine Menge Flugstunden. Als der Klub Mitte Januar den biederen, aber fleißigen Stürmer Artjoms Rudnevs an Hannover 96 ausleiht, verletzen sich am nächsten Tag die verbliebenen Angreifer Maximilian Beister und Pierre-Michel Lasogga.

Desaströser Rückrundenstart

Auch deshalb verschärft sich zum Rückrundenstart die Krise: Der HSV verliert dreimal 0:3 und fliegt gegen Bayern München mit 0:5 aus dem DFB-Pokal. Anfang Februar wird der millionenschwere neue Vertrag des Verteidigers Jonathan Tah öffentlich bekannt. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des mehrjährigen Kontrakts mit dem 17-jährigen Talent werden laut. So gerät mit Tah selbst eine der wenigen positiven Überraschungen beim HSV in negative Schlagzeilen und fliegt aus der Stammelf.

Hinter dem Rücken des Vorstands versuchen derweil einige Mitglieder des Aufsichtsrates, Felix Magath als neuen Trainer zu installieren. Doch am Ende sagt Magath öffentlich selbst ab und wird neuer Manager beim FC Fulham. Noch-Trainer van Maarwijk ist da vor dem wichtigen Abstiegsendspiel gegen Eintracht Braunschweig schon längst völlig demontiert. Das Duell mit dem Aufsteiger verliert der HSV am vergangenen Samstag auch prompt mit 2:4.

Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Ein letzter Beweis für die zerstörerische Abwärtsspirale beim HSV, denn im Vergleich zur limitierten Mannschaft der Braunschweiger verfügt der HSV auf dem Papier immer noch über einen guten Kader. Doch nirgendwo ist die Kluft zwischen dem Anspruch Europa und der Wirklichkeit Abstiegskampf so groß wie in Hamburg.

Die Mannschaft ist eine teure Mischung: Neben Gallionsfigur van der Vaart und alternden Stars wie Heiko Westermann oder Marcell Jansen, deren beste Zeit vorbei zu sein scheint, verfügt der HSV über mehrere Spieler, die seit Jahren in ihrer Entwicklung stagnieren. Bisher ist es keinem Trainer gelungen, diese Melange mit den wenigen vielversprechenden Talenten Tah, Lasogga und Hakan Calhagnolu zu einer funktionierenden Einheit zu verschmelzen.

Nachdem der glücklose van Marwijk nun endgültig gehen muss, darf sich Mirko Slomka an der Elbe versuchen. Eine Herkulesaufgabe, für die sich Slomka zumindest gut versichert hat: Sein Vertrag läuft bis 2016. Da könnte die Zeit für den HSV schon abgelaufen sein. (Jörn Wenge - derStandard.at, 17.2. 2014)