STANDARD: Mathematik gilt unter Schülern meist als notwendiges Übel: Man braucht sie als grundlegendes Wissen, weiß aber nicht, wozu.

Buchberger: Viele können im Kopf den Bogen nicht spannen von den Grundlagen bis zur konkreten Anwendung. Im Softwarepark Hagenberg verfolgen wir die Strategie, Forschung in angreifbare Ergebnisse wie zukunftsorientierte Arbeitsplätze und innovative Projekte münden zu lassen.

STANDARD: Wie zum Beispiel?

Buchberger: Bei der Programmierung von Robotern: Wie müssen die Gelenke eines Roboters gesteuert werden, damit er ein Ziel unter Umgehung von Hindernissen erreichen kann? Mathematisch betrachtet liegt der Schlüssel in der Lösung von nicht linearen Gleichungen mit mehreren unbekannten Variablen: Die Position des Roboters hat drei Koordinaten, die Orientierung am Endpunkt noch einmal drei. Wenn er einem Hindernis ausweichen soll, kommen weitere Variable hinzu. Das Ganze wird zu einem hochkomplexen Gleichungssystem. Ich habe einen Weg gefunden, wie man solche non-linearen Gleichungen exakt lösen kann. Diese Erkenntnis wird heute nicht nur in allen mathematischen Softwaresystemen angewandt. Auch bei den Robotern haben wir erreicht, dass sie Hindernisse besser umgehen können.

STANDARD: 1982 haben Sie mit einer speziellen Ausbildung für Doktoratsstudierende begonnen. Was ist Ihnen in der Lehre wichtig?

Buchberger: Wir sollten das Doktoratsstudium stärker in den Fokus der akademischen Ausbildung nehmen. Eine fundierte Ausbildung in der Grundlagenforschung ist der Kern jeder Kreativität. Ohne gesunde Wurzeln kann ein Baum keine Blüten treiben. Die Absolventen bilden nach wie vor den wissenschaftlichen Kern des Softwareparks Hagenberg. Gleichzeitig sollen sich meine Studenten nicht nur Fachwissen aneignen, sondern auch die viel zitierten Soft Skills. Deshalb gibt es zu Beginn eine Einheit in "Thinking, Speaking, Writing", in der die jungen Leute in das Prozedere wissenschaftlichen Arbeitens eingeführt werden: Von der ersten Idee bis zur Präsentation der Abschlussarbeit vor Firmen sollen sie alles lernen.

STANDARD: Unter Grundlagenforschung läuft auch der Schwerpunkt Ihres Instituts, das "symbolische Rechnen". Wie kann man sich da den Weg zur Anwendung vorstellen?

Buchberger: Einerseits geht es um das exakte Lösen mathematischer Probleme, die man bisher nur näherungsweise bestimmen konnte- wie eben bei der Robotik. Der zweite Schwerpunkt dreht sich um das Erfinden neuer mathematischer Sätze. Aus der Schule kennt man den "Satz des Pythagoras" als grundlegende Formel. Diese Sätze dürfen in der Mathematik nicht geglaubt, sondern es muss bewiesen werden, dass sie für unendlich viele Fälle gelten. Der Prozess des Erfindens und Beweisens kann Jahre dauern. Das symbolische Rechnen befasst sich damit, wie automatische Verfahren diesen Vorgang abkürzen könnten. Das steigert die Geschwindigkeit der Weiterentwicklung, wovon auch Anwendungen wie etwa Software zur Logistiksteuerung oder Bildverarbeitung profitieren.

STANDARD: In der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wird immer wieder eine unüberbrückbare Kluft beklagt. Woran liegt das? Buchberger: Das ist hauptsächlich ein menschliches Problem. Wissenschaftern bereiten oft die unterschiedlichen Zugänge in Grundlagenforschung und Anwendung Schwierigkeiten: Erstere ist beispielsweise in der Mathematik struktur- und methodenorientiert. Man muss die grundlegende Struktur verstehen, um Lücken lokalisieren und an ihrer Schließung arbeiten zu können. Jeder Forscher versucht, "seine" Lösungsansätze zu finden. Ein Unternehmen interessiert es wenig, welche Methode wissenschaftlich am reizvollsten ist: Das Problem soll gelöst werden. Da muss man den eigenen wissenschaftlichen Ehrgeiz auch manchmal zurückstellen. Das fällt vielen schwer, wird aber in Zukunft immer wichtiger. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 8. 2003)