Während die EU noch über Sanktionen für die Ukrainische Führung bereit, wurde vor dem Wiener Parlament für das Einfrieren von Konten demonstriert.

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Brennende Barrikaden trennen am Unabhängigkeitsplatz Demonstranten und Polizei.

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Freiwillig werde die ukrainische Regierung niemals auf ihre Macht verzichten, sagt die Direktorin des Kiewer Anti Corruption Action Center, Daria Kaleniuk, im STANDARD-Interview. Zu viel stehe für sie auf dem Spiel: Mit dem Ende ihrer Zeit an der Regierung müssten sie auch auf jenen Besitz verzichten, den sie sich mittels Korruption angeeignet hätten. Gezielte Sanktionen in westlichen Ländern könnten die Politiker daher an ihrem "wunden Punkt" treffen.

STANDARD: Die Opposition fordert schon lange Sanktionen gegen Vertreter der ukrainischen Regierung. Ist es jetzt vielleicht zu spät?

Kaleniuk: Es wäre besser gewesen, individuelle Maßnahmen schnell zu ergreifen. Aber ich erwarte, dass sich die Situation weiter verschlechtert. Es ist noch nicht zu spät, das durch Sanktionen oder Maßnahmen einzelner Staaten zu verhindern; etwa durch schärfere Gesetze gegen Geldwäsche oder solche, die Banken dazu verpflichten, verdächtige Transaktionen zu überwachen.

STANDARD: Wie hoch schätzen Sie die Summen in Österreich ein?

Kaleniuk: Meines Erachtens hunderte Millionen Euro, etwa in Firmenbeteiligungen. Dazu Häuser und dergleichen. Das ist nur das, was bekannt ist. Es könnte viel mehr sein, vielleicht Milliarden. Das Geld wandert zurück in die Ukraine – als schmutzige Bezahlungen für Spezialeinheiten, für Waffen, für Knüppel, mit denen Menschen verletzt werden.

STANDARD: Wie nehmen normale Menschen in der Ukraine Korruption wahr?

Kaleniuk: Sie leiden natürlich darunter, vor allem unter der großen politischen Korruption. Die ist in der Ukraine die Regel, nicht eine Ausnahme, so wie in Österreich oder den USA. Die Menschen sehen vor allem die Folgen: Keine Jobs, schlechte Ausbildung, wenig Geld für Pensionisten und Studenten. Das sind alles direkte Resultate.

STANDARD: Auch die aktuelle Opposition soll in Korruption verwickelt sein. Ist sie glaubhafter?

Kaleniuk: Die Opposition kontrolliert die Maidan-Bewegung nicht. Das sind Bürger, die das System nicht mehr aushalten. Daneben gibt es die Opposition, die auch Teil des Systems ist. Die Demonstranten wissen, dass sie nicht ideal ist. Sie hoffen aber, dass sie im Parlament ihre Interessen vertritt.

STANDARD: Zuletzt schien es aus der Ferne so, als würde sich die Situation ein wenig entspannen. Was hat zur plötzlichen Eskalation geführt?

Kaleniuk: Sie war nicht plötzlich. Die vergangenen zwei, drei Wochen haben Janukowitsch und seine Verbündeten eifrig das Geschehen vom Dienstag geplant. Die Regierung hat geblufft, in den Verhandlungen mit der EU und den USA. Sie haben nur Verhandlungen imitiert. Und in der Zeit haben sie Waffen gesammelt, Polizeieinheiten nach Kiew verschoben und den Maidan von verschiedenen Seiten umstellt.

STANDARD: Wie könnte eine politische Lösung aussehen?

Kaleniuk: Ich glaube, dass die aktuelle Regierung ihre Macht nie freiwillig aufgeben wird. Sie wissen, dass sie dann ihren Besitz aufgeben. Daher kämpfen sie so hart. Diplomatie hilft da nicht. Das Einfrieren von Besitz kann Parlamentarier der Regierung überzeugen, sie nicht mehr zu stützen. Ihr Besitz ist ihr wunder Punkt.

STANDARD: Moskau hat jüngst eine föderale Struktur für das Land vorgeschlagen. Eine mögliche Lösung?

Kaleniuk: Es gibt viele Leute aus der südlichen und östlichen Ukraine in der Maidan-Bewegung. Die Teilung wird von Regierung und Russland unterstützt. Es liegt in ihrem Interesse, die Menschen auseinanderzudividieren. Föderalisierung ist aber derzeit ein realistisches Szenario.

STANDARD: Schaden die Versuche, mit Janukowitsch zu verhandeln, dem Ansehen der Oppositionellen?

Kaleniuk: Die Leute glauben nicht an Verhandlungen mit jemandem, der nur so tut, als würde er verhandeln. Die Opposition ist ohnehin nicht sehr glaubhaft. Manchmal tun sie das, was EU und USA wollen – eben auch verhandeln.

STANDARD: Sind Sie über eine mögliche Radikalisierung besorgt?

Kaleniuk: Stellen Sie sich vor, es würde Sie in Ihrem Land niemand verteidigen. Was würden Sie tun? Sich selbst verteidigen. Ich finde nicht, dass man von Radikalisierung sprechen kann, wenn man einen Baseballschläger nimmt, um sich und andere davor zu schützen, erschossen zu werden.

STANDARD: Sehen Sie einen Weg, weitere Eskalation zu vermeiden?

Kaleniuk: Der einzige Weg ist ein Rücktritt Janukowitschs. Die Rolle der EU und der USA wäre es, mit ihm über den Zeitpunkt zu verhandeln. Und sie sollten ihm einen Ausweg anbieten. Irgendeine Insel, auf der er dann leben kann. Das müssen sie machen, um ihn nicht zur Grausamkeit zu motivieren. Aber er würde das wohl ohnehin nicht annehmen. (Manuel Escher, DER STANDARD, Langfassung, 20.2.2014)