Aus Moskaus Perspektive ist die Sache klar: Bei den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und radikalen Demonstranten in Kiew handle es sich um einen versuchten gewaltsamen Staatsstreich, teilte das russische Außenministerium am Mittwoch mit. "Empörend ist das Ausbleiben einer Reaktion auf die Taten der Radikalen vonseiten der Oppositionsführer. Mit demagogischen Losungen über ihre Verbundenheit zu Demokratie und europäischen Werten maskiert, begünstigen sie eine braune Revolution" , erklärte der offizielle Sprecher des Ministeriums, Alexander Lukaschewitsch.

Auch Brüssel bekam sein Fett weg: Die Europäer weigerten sich einzugestehen, dass die Verantwortung für die Gewalt allein bei der Opposition liege, kritisierte Lukaschewitsch. Bereits zuvor hatte Außenminister Sergej Lawrow der EU und den USA Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine vorgeworfen.

So unbeteiligt, wie sie sich gern gibt, ist die Moskauer Führung an der innenpolitischen Gemengelage in der Ukraine allerdings nicht. Mit einer Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik hat sie Kiew zum Verzicht auf das Assoziierungsabkommen mit der EU bewogen. Ein kleiner Handelskrieg im Vorfeld und ein Milliardenkredit plus Gasrabatte als Belohnung führten zum gewünschten Resultat – aber auch zu den Protesten.

Keine Militärintervention

Hintergrund ist die Zollunion und deren geplante Nachfolgerin Eurasische Union, Präsident Wladimir Putins wichtigstes politisches Projekt, in dem die Ukraine eine zentrale Rolle spielt. Ohne sie bleibt die Union unvollendet. Verständlich, dass sich Russland daher ein Tauziehen mit der EU um seinen Nachbarn liefert. Eine russische Militärintervention zur Stützung von Wiktor Janukowitsch, die von ukrainischen Oppositionspolitikern als Schreckensszenario heraufbeschworen wird, wird es jedoch nicht geben.

Stattdessen setzt der Kreml auf die Ost- und Südukraine als Hebel zur Durchsetzung seiner Interessen. Die dortige, mehrheitlich russischsprachige Bevölkerung gilt als moskaufreundlich und empfängt flächendeckend das seit langem als Propagandainstrument genutzte russische Staats-TV.

Und so hat Putins Berater für Wirtschaftsintegration im GUS-Raum, Sergej Glasjew, den Umbau der Ukraine zu einem Föderalstaat vorgeschlagen, in dem die einzelnen Regionen selbst entscheiden könnten, welchem Wirtschaftsbund sie beitreten wollen. "Dabei gibt es viel mehr Regionen, die an der Zollunion interessiert sind, als solche, die auf reale Vorteile vom Freihandel mit der EU rechnen können" , sagte Glasjew. Die Föderalisierung solle die Spaltung der Ukraine verhindern, weil sie die Verhältnisse flexibler mache: "Nur harte Strukturen brechen auseinander." 

Kritiker des Plans hingegen rechnen eher damit, dass er die Teilung des Landes forciert. Für Russland hätte das allerdings den Vorteil, dass die Industriegebiete im Osten dann direkt zum eigenen Einflussgebiet zählen würden. In dem Fall könnte Moskau wohl den "Verlust"  der west-dnjeprischen Gebiete verschmerzen. (André Ballin aus Moskau /DER STANDARD, 20.2.2014)