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Der Österreicher Valentin Inzko ist Hoher Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft (OHR) in Bosnien.

Foto: reuters / FRANCOIS-LENOIR

Es war einer der üblichen Treffen des EU-Erweiterungskommissars mit den sieben Parteiführern in Bosnien-Herzegowina, das erwartungsgemäß ohne Resultate blieb. Die von der EU geforderte Verfassungsänderung gilt denn auch als Forderung nach der "Quadratur des Kreises". Stefan Füle ermahnte also die Politiker ein wenig, die Parteiführer nickten und ließen sich mit ihm fotografieren. Und alles ging weiter wie bisher. Bloß hat sich Füle diesmal auch mit Leuten aus der Zivilgesellschaft getroffen, die die Demokratiebewegung im Land in Plenums-Veranstaltungen mit gestalten. Nächste Woche kommt auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton nach Sarajevo. Manche fordern, Ashton solle sich in Bosnien-Herzegowina stärker engagieren und dem Land aus der Patsche helfen.

Der Ruf nach den "Internationals", die ja auch 19 Jahre nach dem Ende des Kriegs noch immer präsent sind, ist nicht neu. Doch was können diese eigentlich tun? Und wie sehr hängt ein Erfolg ihrer Politik von den lokalen Politikern ab?

Da gibt es zunächst den Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft (OHR) – den Posten hat seit fünf Jahren Valentin Inzko inne. Der OHR spielt in der bosnischen Politik nur mehr eine marginale Rolle. Das hat damit zu tun, dass es Büro schon lange nicht mehr geben sollte, aber die USA, die Türkei und Großbritannien sich nicht dazu entschließen konnten, es zuzusperren. Der OHR ist für die Friedensimplementierung zuständig. Er hat bezüglich der Proteste oder der Sozialpolitik, die jetzt Thema sind, keine Agenda. Und er kann auch nichts bezüglich einer Verfassungsänderung tun, denn diese ist Aufgabe des bosnischen Parlaments.

"Keine schnellen Lösungen"

Gerade weil das Parlament dafür zuständig ist, ist es demokratiepolitisch ohnehin fragwürdig, wenn Ausländer sich zu sehr einmischen. Der bosnische Politik-Analyst Srećko Latal ist etwa für ein "totales Disengagement der Internationalen Gemeinschaft bei der Verfassungsreform". Auch die EU solle nicht mehr vermitteln, sondern die Sache den Bosniern überlassen. Die Verfassungsreform müsse als Langzeitprojekt angesehen werden. Generell plädiert Latal dafür, dass "keine schnellen Lösungen", sondern langfristige Strategien entworfen werden. Die EU solle sich vor allem beim Aufbau der Wirtschaft engagieren.

Ursprünglich war geplant gewesen, dass die EU ab etwa 2005 die führende Rolle in Bosnien-Herzegowina einnehmen sollte, das so genannte April-Paket sollte die Verfassungsreform ermöglichen und das Büro des OHR zugesperrt werden. Doch die Verfassungsreform scheiterte auch damals. Aber die Großmächte die im Friedensimplementierungsrat sitzen, der den OHR bestellt, definieren seine Rolle seither als sehr beschränkt. "Heute ist der OHR ein Forum der Großmächte zur Verhandlung der bosnischen Frage", sagt der EU- und Bosnien-Experte Tobias Flessenkemper beim Europa-Institut Cife in Nizza. "Es ist wie eine gruppentherapeutische Einrichtung, denn es haben fast alle ein Trauma mit Bosnien." Erst nach dreieinhalb Jahren Krieg, Genozid und 100.000 Toten war die Internationale Gemeinschaft 1995 in der Lage einen Friedensvertrag zu zimmern.

Doch bereits unter dem Vorgänger von Inzko, Miroslav Lajčák war klar, dass der OHR heute nichts mehr auszurichten hat in Bosnien-Herzegowina. "Der OHR verglimmt", sagt Flessenkemper. Russland stellt sich schon seit geraumer Zeit gegen gemeinsame Entscheidungen im Friedensimplementierungsrat. Wenn Inzko zurücktreten würde, könnte man nicht einmal mehr einen Nachfolger ernennen. "Inzko spielt also die Leerstelle der internationalen Zerstrittenheit", so Flessenkemper. Theoretisch hat er ein Mandat, aber praktisch nicht mehr. Kürzlich hat er zudem unter europäischen Diplomaten Kopfschütteln ausgelöst, weil er erwogen hatte, EU-Truppen gegen die Demonstranten einzusetzen. Die Eufor-Soldaten durften übrigens zu Beginn der Proteste das Camp Butmir nicht verlassen und in Sarajevo spazieren gehen, weil die Soldaten (sic!) als gefährdet galten. Auch unter vielen Bosniern hat Inzkos Aussage Wut und Enttäuschung ausgelöst, zumal Inzko gar nichts mit der Eufor zu tun hat und seine Bemerkung als unpassende Einmischung empfunden wurde.

 Rezepte längst ausgegangen

Neben Inzko gibt es in Sarajevo auch den EU-Sondergesandten, Peter Sørensen. Er ist auch Leiter der gesamten EU-Delegation mit 150 Mitarbeitern in einem schicken Neubau im Zentrum der bosnischen Hauptstadt. Sørensen kam 2011 recht ambitioniert nach Bosnien-Herzegowina, mittlerweile setzt die EU aber nur mehr auf "strategische Geduld". Die Rezepte sind ausgegangen. Man wartet, bis sich in der lokalen Politik etwas ändert und etwa ein Generationswechsel stattfindet.

Die EU-Integration für Bosnien-Herzegowina liegt seit Jahren auf Eis. In Diplomatenkreisen gibt es sogar das Gerücht, dass die Generaldirektion Erweiterung abgeschafft werden könnte, zumal die Zeiten, wo erfolgreiche Erweiterungsrunden durchgeführt werden, vorbei sind. Auch Füle soll keine Lust mehr auf den Job haben. Allerdings spricht auch vieles gegen dieses Gerücht. So ist die Erweiterung noch immer das stärkste Außenpolitik-Instrument der EU.

Der Stillstand in EU-Fragen in dem Balkanstaat mit seinen 3,8 Millionen Einwohnern ist jedenfalls mit der Verfassungsreform verbunden. Die bosnische Politik müsse "glaubwürdige Anstrengungen" unternehmen, das Urteil zu Sejdić und Finci des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umzusetzen, heißt es in den EU-Forderungen seit Jahren. Diese "glaubwürdigen Anstrengungen" sind aber nicht in Sicht. Bei Sejdić-Finci geht es darum, dass die Verfassung Minderheiten oder einfach Leuten, die aus "gemischten Familien" kommen, also die keine Bosniaken, Kroaten oder Serben sind, gewisse politische Ämter verwehrt.

Wer Kompromisse schließt, gilt als Verlierer

Aus diesem Problem ist in den vergangenen Jahren zwischen den Parteiführern aber ein Streit um die Repräsentation der kroatischen Volksgruppe geworden. Insbesondere der HDZ-Vorsitzende Dragan Čović witterte Morgenluft. Er wird vor allem für das Scheitern der Verfassungsreform verantwortlich gemacht. Auch die kroatische HDZ spielte in den vergangenen Wochen eine negative Rolle in Bosnien-Herzegowina, weil sie offen in der bosnischen HDZ vor Ort intervenierte. Die kroatischen HDZ-Abgeordneten im EU-Parlament haben zudem versucht über einen Bericht des Parlaments der Bosnien-Politik der EU ihren Spin zu geben. Das alarmierte die anderen Volksgruppen in Bosnien-Herzegowina. "Die EU muss das verhindern", fordert Latal. Man müsse zudem die gesamte Balkan-Politik der EU überdenken. Denn politische Strategien und Ereignisse strahlen in der Region aus, was man in den letzten Tagen etwa daran sehen konnte, dass auch in Mazedonien, Montenegro, Serbien und Kroatien mit Verweis auf die bosnischen Proteste, Demonstrationen organisiert wurden.

In Bosnien-Herzegowina sind in der Verfassungsfrage die Positionen aber nicht nur festgefahren, es ist auch unlogisch für die Parteiführer, einem Kompromiss zuzustimmen, weil sie dabei verlieren würden. Der Status-Quo ist für sie machtpolitisch besser. Aber auch die EU hängt in dieser Frage fest, weil sie die Umsetzung des Urteils zu einer Bedingung für die nächsten EU-Integrationsschritte gemacht hat. Flessenkemper spricht von einer "negativen Konditionalität", weil die EU nicht sagen kann, wie man sie erfüllen könnte, denn für Verfassungsfragen in multi-ethnischen Staaten gibt es keine gemeinsame EU-Politik oder -Position. Angesichts der Lage in Großbritannien, Spanien und Belgien ist das auch nicht gewollt. Aber diese negative Konditionalität rührt an grundsätzliche Fragen der Staatlichkeit Bosniens und füttert konstant den innenpolitischen Streit der nationalistischen Politiker. Eine Möglichkeit wäre, dass die EU die Konditionalität einfach aufgibt.

Die EU hat in der Verfassungsfrage zudem auch keine politische, sondern nur technische Mediation angeboten. Anders als im Fall Kosovo-Serbien, wo Ashton die beiden Regierungen erfolgreich an den Tisch brachte, ist die bosnische Frage aber auch keine rein bilaterale. Der Vertrag von Dayton wurde unter anderem von Kroatien und Serbien unterzeichnet, und zu den Großmächten, die entscheidend sind gehören neben den USA und einigen Europäern (die Österreicher sitzen übrigens nicht im Friedensimplementierungsrat), auch die Türkei und Russland.

Hoffnungen auf EU sind gering

Hier zeigt sich die "Pfadabhängigkeit" der EU Bosnien-Politik, wenn es um die Verfahrenheit der Situation geht. Gemeint ist, dass die EU schon vor und während des Kriegs unentschlossen und zögerlich agierte. "Im Unterschied zu Kosovo 1999, ließ man Bosnien ab 1992 an die Wand fahren", so Flessenkemper. Der Friedensvertrag von Dayton wurde dann dem Land oktroyiert. Und die EU selbst hat bereits 1992 die Kantonalisierung des Landes vorgeschlagen, was heute von vielen EU-Politikern kritisiert wird. Diese scheinheilige Haltung der EU, verringert das Vertrauen der Bosnier. Bei den Protesten und Versammlungen, die nun stattfinden, ist die EU praktisch kein Thema und man erwartet auch nichts mehr von der EU. Besonders unbeliebt sind bevormundende Kommentare von außen, wie sie etwa kürzlich vom österreichischen Außenminister Sebastian Kurz kamen, der sich für finanziellen Druck auf die bosnischen Politiker ausgesprochen hatte. Was würde Kurz wohl sagen, wenn der bosnische Außenminister für Druck gegen österreichische Politiker plädieren würde?

Tatsächlich hatte Bosnien-Herzegowina in den vergangenen Jahren keine Priorität in Brüssel. Erst jetzt wo es brannte, wurden wieder Stimmen laut, dass es so nicht weiter gehe. Es bleibt aber völlig offen, ob der/die neue EU-Außenbeauftragte das Mandat bekommen könnte, als Vermittler in Bosnien zu agieren. Denn dies hängt auch von den Erfolgschancen einer solchen Vermittlung ab. Und damit auch von der politische Klasse im Land.

Einer der schwierigsten Akteure ist der Präsident der Republika Srpska (RS), der sich in die nationalistisch-separatistische Ecke manövriert hat. Dort ist sein Handlungsspielraum gering. Der Mann, der wohl eher als Zyniker mit starkem Machtbewusstsein und enormen Durchgriffsmöglichkeiten über seine Partei, denn als Nationalist beschrieben werden kann, will die Autonomie, die die RS im Vertrag von Dayton bekommen hat, schützen. Ein konstruktives Verhalten ist angesichts seiner Rhetorik nicht zu erwarten. Derzeit könnte Dodik jeden Vermittlungsversuch blockieren und mit so einem Verhalten vielleicht sogar einen erneuten Wahlsieg einfahren. In Diplomatenkreisen hofft man deshalb, dass die jetzige Oppositionspartei in der RS, die SDS analog zu den Entwicklungen in Serbien eine vernünftige Alternative werden könnte.

Der historische Moment für eine Vermittlungsinitiative ist so kurz vor den Wahlen in Bosnien-Herzegowina und den EU-Wahlen nicht gegeben. Latal warnt aber davor, dass die EU Bosnien-Herzegowina in die nächste Warteschleife stellt. "Die EU hat keine Zeit auf eine neue Kommission zu warten, es muss jetzt nachgedacht werden." Es könne schon sein, dass der bosnische Frühling heuer besonders früh gekommen sei. "Aber das jetzt war nur ein Fingerzeig auf Dinge, die noch kommen könnten." (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, DER STANDARD, 21.2.2014)