Moderator-Message: Wir versuchen hier ein neues Format, jedenfalls neu in einem Chats von derStandard.at/Etat - ein Streitgespräch. Anlass: "The Gap"-Herausgeber Thomas Weber hat uns den Anlass geliefert: Er hat sich in einem Leitartikel, fast einer Art Leidartikel. b
Moderator: Wir versuchen hier ein neues Format, jedenfalls neu in einem Chat von derStandard.at/Etat - ein Streitgespräch. "The Gap"-Herausgeber Thomas Weber hat uns den Anlass geliefert: Er hat sich in einem Leitartikel, fast einer Art Leidartikel, beklagt, dass sich auf einen Redakteursjob bei seinem Gratismagazin 270 Menschen beworben haben. Er schließt daraus: "Nun, wir haben hiermit den empirischen Beweis dafür, dass der Arbeitsmarkt für Journalismus kaputt ist. Dass an einschlägigen FHs in den vergangenen Jahren viel zu viele Menschen ausgebildet wurden – am Arbeitsmarkt vorbei." Nikolaus Koller leitet das Institut für Journalismus und Medienmanagement an der FH Wien zwar erst seit vorigem Jahr, aber das wird er wohl nicht auf sich sitzen lassen - deshalb ist er hier. Wir diskutieren hier, Sie sind herzlich eingeladen mitzureden - Fragen, Anregungen, Beschwerden.
ModeratorIn: Wir begrüßen Thomas Weber (The Gap) und Nikolaus Koller (Institut für Journalismus/FH Wien) zum Streitgespräch - und besonders herzlich die Userinnen und User! Wir freuen uns auf Ihre Fragen!
Gäste: Weber: Hallo. Koller: Hallo.
ModeratorIn: Wie wurde Thomas Weber denn Journalist? Sie schreiben ja, fast die Hälfte Ihrer Bewerber um den Redakteursjob war "formal deutlich besser ausgebildet als das bestehende Kernteam" von "The Gap"
Gäste: Weber: Klassisch Oldschool-Studienabbrecher und sehr viel learning by doing. Auf ein Angebot wie eine Journalismus-FH habe ich eigentlich immer gewartet (Koller lacht), nur gab''s so etwas, als ich 1995 maturiert habe, noch nicht.
ModeratorIn: Wie wurde Nikolaus Koller Journalist? Das war er ja zuvor - Ressortchef "Karriere" bei der "Presse".
Gäste: Koller: Klassiker: Studium, viele unbezahlte bzw. schlecht bezahlte Praktika, gratis/ehrenamtlich geschrieben, zum Beispiel für die ÖH, und dann "Presse".
Klinge Ling: Ist die Ausbildung zum Journalisten nicht per se schon absurd? Wäre es nicht schlauer, eine Fachausbildung in einem Bereich zu absolvieren um später profund darüber schreiben zu können?
Gäste: Koller: Fachliche Spezialisierung ist ein Muss, aber das Handwerk muss man lernen. Das passiert heute immer mehr an Ausbildungsinstitutionen wie der unsrigen und on the job.
Clemenza: Frage an Herrn Koller: Wissen Sie wo Ihre Absolventen untergekommen sind? oder suchen sie immer noch ? Sind sich Ihre Absolventen bewusst, dass der Arbeitsmarkt für <Print-Journalisten ein äußerst schwieriger ist?
Gäste: Koller: Wir kommunizieren die Arbeitsmarktsituation sehr offen. Ich habe hier einen Karrieremonitor, den die FH Wien beim IHS 2011 in Auftrag gegeben hat. Nach diesem sind rund 80 Prozent unserer Absolventen nach einem Jahr ihres Abschlusses in Beschäftigung oder erwerbstätig - als arbeitslos gemeldet sind nur zwei Prozent. Weber: Von wie vielen Absolventen insgesamt? Koller: Das Institut gibt es seit 2003. Dieser Monitor umfasste alle Absolventen seit Beginn. Bis jetzt sind das circa 290 Absolventen. (Diese Daten beziehen sich allerdings nur auf die alten Magister-Studien.)
6db18239-dfcb-4f2c-bd85-8fd56e1aa4e5: Hr. Weber, sollten sie sich in ihrer Position nicht freuen, aus dem Vollen schöpfen zu können? Wieviele der Bewerber hatten eine abgeschlossene journalistische Ausbildung?
Gäste: Weber: Geschätzt würde ich sagen, circa ein Viertel. Wir hatten von den 270 Bewerbern zehn Personen in der Letztauswahl. Eine davon hatte Gehaltsvorstellungen, bei denen wir ihr gesagt haben, dass das zu wenig ist. Es wäre zynisch, sich über solche Situationen zu freuen. Koller: Empfehlung in Richtung Bewerberinnen: Setzt euch nicht diesem Preisdumping aus! Zweitens, Empfehlung in Richtung Medienunternehmen: Im HR sagt man: "If you pay peanuts you get monkeys." Weber: Was mich mal interessieren würde: eine Liste der journalistischen Big Names und Branchen-Dropouts, die sich ihren Job nicht mehr leisten können.
ModeratorIn: Wer fällt Ihnen da ein?
Gäste: Weber: Ich würde ihn nicht als Dropout bezeichnen, er schreibt ja nach wie vor Bücher und seine Kolumne für die "Zeit", aber mein einstiger Mentor Ernst Schmiederer meinte gestern: "Ich kann mir Journalismus im Hauptberuf nicht mehr leisten." Personen, die die Branche gewechselt haben, auch aus Mangel an Perspektiven: Hannes Reichmann, Klaus Grubelnik, Harald Waiglein, Martin Himmelbauer, Gunther Müller, Josef Redl usw. Koller: Ich kann mich dem nur anschließen. Das Jobangebot am Arbeitsmarkt ist derzeit nicht besonders.
Stan A. Beerfillens: An Herrn Weber: Sind denn wirklich die FHs an der Überschwemmung des Marktes schuld? Die produzieren doch kein neues Interesse am Job, sondern bilden die, die's sowieso wollen, besser aus. Oder?
Gäste: Weber: Ja und nein. Koller: Ja! Weber: Faktum ist: Junge Journalisten waren in Österreich noch nie so gut ausgebildet wie jetzt. Ich wage aber zu behaupten, dass sie trotz besserer Ausbildung heute weniger verdienen als früher.
Terence Lennox: Ich stelle keine Frage, ich stelle fest: Die besten deutschsprachigen Journalisten haben entweder keine Ausbildung, oder ihre Ausbildung während der Ausbildung verlassen und zu schreiben begonnen. Beste Grüße aus Berlin..
Gäste: Koller: Früher war die klassische Journalistenkarriere die eines Studienabbrechers. Heute bekommen Sie ohne akademischen Abschluss oft nicht einmal die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch.
PuraVida: Herr Weber - die Reaktion in ihrem Leitartikel war - überspitzt formuliert - na dann schreiben wir halt nix mehr aus und machen's so wie es eh alle anderen Medienhäuser machen, nämlich im Bekanntenkreis suchen. Ist das denn eine Lösung bzw. eine Hal
Gäste: Weber: Eine der Reaktionen auf meinen Text war: "Es müssten Jobs im Journalismus viel öfter ausgeschrieben werden." Es ist ja nicht so, dass wir das erste Mal Leute angestellt haben. Aber wir haben das erste Mal einen Job ausgeschrieben, um objektiv auswählen zu können. Diese Flut an Bewerbungen ist für ein kleines Unternehmen - wir haben zwölf Angestellte - aber kaum seriös zu bewältigen. Wir haben ja keine eigene HR-Abteilung. Koller: Ich hab seine (Webers) Aufregung nicht verstanden. Du kannst doch froh sein, wenn dein Unternehmen ein so attraktiver Arbeitgeber zu sein scheint. Andere Unternehmen müssen zigtausend Euro in Imagekampagnen investieren. Weber: Darauf sind wir auch ehrlich stolz. Übrigens: Ich wurde von anderen Herausgebern und Chefredakteuren gefragt, ob ich ihnen nach unserer intensiven Auswahl Leute empfehlen könne, aber gesucht wurden explizit zwei Datenjournalisten - davon gab es aber unter diesen 270 Bewerbern keinen einzigen. Koller: Das beweist, dass es auch Wachstumsbranchen wie zum Beispiel den Datenjournalismus gibt. Weber: Aber auch, dass die FH-Absolventen zwar gut ausgebildet sind, aber nicht zwingend für das, was der Arbeitsmarkt offensichtlich braucht. Koller: Das sehe ich nicht so. In unserem Bachelorstudium werden circa 1.400 Lehreinheiten abgehalten. In etwa 60 Prozent davon wird journalistische Praxis vermittelt. Darüber hinaus haben wir 70 LektorInnen aus der journalistischen Praxis. Wo fehlt da der Praxisbezug?
Leopold_Boom: Herr Weber, welche Ausbildung würden Sie denn gerne bei jungen Journalisten sehen?
Gäste: Weber: Das kann ich nicht pauschal beantworten. Wir haben gerade zwei Personen angestellt. Eine davon hat BWL studiert und einen Modeblog betrieben, die andere hat mit Auszeichnung Altphilologie studiert und ihre Diplomarbeit über Zitrusfrüchte in spätlateinischen Texten verfasst. Am AMS können sie da nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Aber: Die Kollegin hat Stil, kann schreiben, ist extrem videoaffin und hat neben Qualitätsbewusstsein ein Gespür für Buzzfeed-Zugänge, Viralität und Web-2.0-Zugänge. Das ist eine sehr spannende Mischung.
cantgetusedtoit: @Koller: Wäre es nicht sinnvoller Studenten in Spezialgebieten wie Wirtschaft, Politik oder Soziologie zu bilden, anstatt aus ihnen weitere "Contentproduzenten" ( wie der neue FH Bachelorstudiengang impliziert) zu machen?
Gäste: Koller: Wir überlegen Spezialisierungen, nur können wir in einem Studium Sie nicht sowohl zum perfekten Wirtschafter und sofort einsetzbaren Journalisten gleichzeitig ausbilden.
NewZealand: Frage an Herrn Koller: Setzt euch nicht diesem Preisdumping aus, sagen Sie. Das heißt doch übersetzt: Wechselt die Branche! Denn wenn Journalist A die Geschichte ablehnt, weil sie unter aller Sau bezahlt ist, gibt es 30 andere, die die Geschichte sc
Gäste: Koller: Das ist eine Frage, die auch auf vielen Podien und Medientagen diskutiert wird. Ich habe leider - wie viele andere - keine ausreichende Antwort. Ein richtiger Schritt wäre mehr Transparenz in Lohn- und Bezahlthemen. Wenn ich weiß, was marktüblich ist, dann weiß ich, was ich verlangen muss und kann. Weber: Jammern bringt auch nichts. Mittlerweile gibt es - zum Glück - sogar Praktikanten, die sich Contentmarketing-Ideen überlegen. Das kann man nicht nur gut finden, aber Contentmarketing ermöglicht schon auch spannende Formate. Wir haben zum Beispiel auf thegap.at mit einem Sojajoghurt-Produzenten ein Interviewformat entwickelt: gemeinsames Kochen und anschließende Diskussion. Eine Konstellation - das Aufeinandertreffen von Wolfgang Ainetter (News) und Blogger Helge Fahrnberger (kobuk.at) - war extrem spannend und wurde sogar auf bildblog.de zitiert. Koller: Wenn ich sehe, wie manchmal mit topausgebildeten Talenten umgegangen wird, kann ich Reaktionen wie von Andreas Grieß sehr gut verstehen. http://www.vocer.org/die-medienbranche-hat-diese-generation-nicht-verdient/
katalehner: Ich als Journalismus-Studentin würde es spannend finden, wenn sich zB eine Kooperation zwischen FH und Universität ergeben würde, wo man dann zusätzlich zum praxisvermittelnden Studium an der FH fachspezifische Kurse (in Wirtschaft, PoWi, etc. - je
Gäste: Koller: Die Idee ist sicher gut. Die Frage ist nur, ob man beide Dinge in der dafür notwendigen Tiefe lernt. Wahlfächer bzw. einzelne Lehrveranstaltungen kann man immer besuchen. Es ist der richtige Weg. Spezialisierung ist unbedingt notwendig.
Frannie234: Als Journalismus-Studentin und Praktika-Leidgeprüfte habe ich den Eindruck gewonnen, dass sehr viele Medienunternehmen zwar Bedarf, aber keine Ressourcen für neue Leute haben... Daher hat sich auch diese Praktika-Kultur so stark herausgebildet! Was
Gäste: Koller: Leider fehlt Medienmanagern derzeit oft der Mut, Geld für Investitionen - auch in Menschen - in die Hand zu nehmen. Weber: Ich glaube nicht, dass die Situation da besser werden wird. Es mangelt den meisten Medienunternehmern schlicht und einfach an den Einnahmen. Leute einstellen würde jeder gerne. Auch wenn viele bedauern, dass Marketing und Journalismus immer näher zusammenrücken, das Traurige ist doch eigentlich, dass sich die Wege von Journalismus und Werbewirtschaft getrennt haben. Journalismus, wie wir ihn aus den Geschichtsbüchern und Hollywood-Inszenierungen kennen, war ja schon auch ein positiver Kollateralschaden eines attraktiven Werbeumfelds. In den 80er-Jahren konnte man im Fernsehen, auf Plakaten und in Printmedien werben, heute begegnet mir am Liftbügel Werbung, und ich kann in Pissoirs auf Logos pinkeln. Durch die Vielfalt an Werbemöglichkeiten fehlt dem Journalismus das Geld. Ich glaube nicht, dass das zurückkommen wird.
Martin Lengauer: Stimmt der EIndruck, dass Medienunternehmen zusehends ältere (teure) JournalistInnen "freisetzen" und junge an Bord holen, aber nicht in den Journalisten-KV und zu fast ausbeuterischen Bedingungen? Wollen deshalb so viele Junge nach einem Jahr in di
Gäste: Koller: Mein Eindruck ist jener, dass zuerst jene KollegInnen freigesetzt wurden, von denen man sich im Sinne vom Arbeitsrecht leicht trennen konnte, und danach ältere/teurere leider entlassen wurden. Meines Wissens wurden beispielsweise beim Standard viele Freie angestellt.
D.E.v.S.: Journalisten sind immer besser ausgebildet, außerdem gibt es ein Überangebot. Wie bringt man die guten Journalisten unter, sodass sich die Qualität insbesondere des Österreichischen Journalismus verbessert? Da werden Grundregeln des Journalismus aus
Gäste: Weber: Ich finde nicht, dass die österreichischen Medien so schlecht sind, wie immer behauptet wird. Es gibt mit Standard, Presse, Salzburger Nachrichten, Profil, Falter einige Medien mit Qualitätsanspruch, und letztlich ist Österreich so groß wie ein kleines deutsches Bundesland. Zeigen Sie mir diese Dichte an Qualitätsmedien in einem einzigen deutschen Bundesland.
cantgetusedtoit: An Herrn Weber: Sie haben in ihrem Leitartikel gemeint, dass möglicherweise das "coole" Image des "Gap"-Magazins an den vielen Bewerbern Schuld sei. Wie stehen Sie zum Image des Magazins? Produzieren Sie objektiven Journalismus oder publizieren Sie
Gäste: Weber: Wir haben einen klaren Qualitätsanspruch. Mit der "Objektivität" im Journalismus habe ich so meine Probleme. Die gibt es ohnehin nicht. Wichtiger scheint mir da ein Wert wie Fairness und Ausgewogenheit. Es stimmt aber, dass wir derzeit auf thegap.at und biorama.at neue Formate testen. Der angesprochene Schmuse-Artikel gehört sicher nicht zu meinen Lieblingsartikeln aller Zeiten, hatte aber - auch für mich überraschend - unglaubliche Zugriffszahlen. Aber keine Sorge, wir werden auf thegap.at sicher nicht "Neon" kopieren.
NewZealand: Herr Koller, Sie geben an, rund 80 Prozent Ihrer AbsolventInnen seien nach einem Jahr Ihres Abschlusses in Beschäftigung oder erwerbstätig (von allen bisherigen AbsolventInnen): Wieviele Ihrer AbsolventInnen haben denn eine Anstellung bekommen und w
Gäste: Koller: Wir haben dazu leider keine Statistiken. Aus Gesprächen mit AbsolventInnen entnehme ich, dass unsere Alumni sowohl in guten wie leider auch zum Teil in prekären Verhältnissen beschäftigt sind. Prekariat ist in keiner Form in Ordnung. Leider können wir als Ausbildungsinstitution an den Arbeitsverhältnissen in Medienhäusern nicht viel ändern. Wir können nur daran arbeiten, dass sich unsere AbsolventInnen im Wettbewerb um die guten Jobs häufiger durchsetzen.
PuraVida: Würden Sie beiden mit der heutigen Lage sich wieder für den Journalismus entscheiden?
Gäste: Koller: Journalismus ist Berufung. Weil so viele KollegInnen mit Herzblut dabei sind, ertragen so viele von ihnen auch diese Arbeitsbedingungen und den Leidensdruck. Weber: Klare Antwort: Ja. Wobei ehrlicherweise nur 20 bis 30 Prozent meiner Arbeitszeit Journalismus ausmachen. Der Rest besteht aus dem, was man Verlagsgeschäft nennen kann. Was mir auch wichtig ist zu sagen: Es sind nicht alle journalistischen Jobs schlecht und auch nicht alle schlecht bezahlt. Aber es war sicher schon einmal einfacher.
ModeratorIn: Herzlichen Dank an Nikolaus Koller und Thomas Weber - und an Sie für die vielen Fragen, wir konnten leider nicht alle unterbringen, ohne wie einst Thomas Gottschalk dramatisch zu überziehen. Wir wünschen noch einen spannenden Tag mit derStandard.at/
Gäste: Koller: Danke auch! Mein Tipp zum Abschluss: Praxis, Praxis, Praxis und an KollegInnen wie dossier.at und paroli-magazin.at ein Beispiel nehmen. Übrigens sind viele davon FH-Wien-AbsolventInnen. Weber: Ich bin ja immer noch überrascht, wie wenige Studierende tatsächlich ernsthaft bloggen. Einen Blog würde ich wirklich jedem Nachwuchsjournalisten empfehlen. Das kostet de facto nichts, bringt Praxis und ermöglicht es einem, Formate auszuprobieren und sich einen Namen zu machen. Danke!