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Schusterfamilie in Bedrängnis: Sarah Viktoria Frick, André Meyer, Tilo Nest und Regina Fritsch (v. li.).

Foto: Apa/georg soulek

Wien - Menschen der Gegenwart sucht man in Michael Thalheimers Inszenierungen vergeblich. Zeitgenössische Befindlichkeiten öden ihn an. Arbeiten des deutschen Regisseurs, fast immer klassische Dramen, sind dem landläufigen Dasein enthoben, sie atmen die kalte Luft eines fremden Universums. Menschen? Die gibt es nur als Allegorien, personifizierte Handlungsprinzipien, und sie würden von sich nie behaupten, eine humane Existenz zu führen. Ihre starren Blicke sind ins Nichts (ins Publikum) gerichtet, das Unausweichliche erwartend.

Das Unausweichliche, das ist in Friedrich Hebbels Maria Magdalena der Zerfall der Familie: Papa Anton, ein in seinem sittlichen Ehrgeiz erstarrter Tischlermeister (Tilo Nest), exekutiert mit steifer Brust und irrem Gehstockklopfen den christlich-patriarchalen Moralkodex. Seiner leichenblassen Gattin (Regina Fritsch wie aus einem Tim-Burton-Gruselmärchen, Kostüme: Katrin Lea Tag) wird in dieser Enge bald das letzte Flämmchen Leben ausgehaucht. Denn der Sohn (hart: Tino Hillebrand) soll Juwelen gestohlen haben.

Das Vaterherz schlägt nicht für ihn, dafür aber schwellen unheilvolle Klaviertöne (von Bert Wrede) an. Die Bühne dieses bürgerlichen Trauerspiels (1844) ist eine kahle, leblose Landschaft in Anthrazit. Und über die obere Kante eines tief und schmal aus dem Schnürboden herabhängenden Schafts (Bühne: Olaf Altmann) schickt Gott ein wenig Licht herab - auf die sich unter dem Kreuz zusammenrottenden Menschlein. In ihren steifen Kostümen hampeln sie wie Puppen vor dem Herrn.

Die vermeintliche Tat des Sohnes bringt Schande in die Familie. Der Vater droht mit Suizid, sollte es die Tochter nicht besser machen. Doch Klara (Sarah Viktoria Frick) ist schon schwanger - ohne Bräutigam. Sie trägt unter ihrem unschuldig weißen Rock die wollenen Strümpfe des Kleinbürgertums. Gut heiraten wäre also wichtig, doch Leonhard (Lucas Gregorowicz), ein berechnender Karrierist, winkt wegen fehlender Mitgift ab.

Und wie schon in Thalheimers letzten Arbeiten in Österreich (Die Jungfrau von Orleans bei den Salzburger Festspielen im Vorjahr oder bei Elektra am Burgtheater) treten auch jetzt in Friedrich Hebbels Maria Magdalena diese unter enormer Anspannung stehenden, kaum Handlungsspielraum verspürenden Figuren aus ihrer allegorischen Starre nicht heraus, sie interagieren nicht. Das lebhafte Spiel bleibt den außerhalb der Familie stehenden Charakteren überlassen: dem verliebten Sekretär (erblühend: Albrecht Abraham Schuch) oder dem Gerichtsdiener Adam (André Meyer). Auch Johann Adam Oest bringt als Kaufmann Wolfram Frischluft in diese Landschaft finsterer Ecken.

Die "Kinder sind wie Äcker, man sät sein gutes Korn hinein, und dann geht Unkraut auf". - Besseres erhofft sich der Meister Anton in seiner Kirche der Angst nicht. Und während der Juwelendiebstahl bald aufgeklärt ist, nimmt das Unheil seinen Lauf. "Der Mensch" zerbirst an dem Terror vermeintlich guter Sitten.

Das Individuum hat dabei nichts zu melden. Michael Thalheimer geht es wie immer um den Überbau, um das Konzept des von einem für alle ausgedachten guten Lebens, um flächendeckend wirksame, sittliche Parameter, denen kein eigener, unabhängiger Gedanke zugrunde liegt. Die Korsage, die nötig ist, dies zu zeigen, misst er seinem Ensemble bravourös an.

Die Inszenierung glänzt vor Präzision, allerdings um den Preis, dass sie in ihrer Mechanik wenig mitfühlend macht. Die Befremdung, die einen umfängt und mit der der Abend auch kalkuliert, hat auch Ungerührtheit zur Folge. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 22.2.2014)