Die BMW R nineT gefällt sich in ihrer Retrohaftigkeit. Und sie gefällt.

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Vor dem Kehren-Check im Norden Mallorcas.

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Dieser Bürzel sagt: Hier steht eine ideale Basis für Costumizer.

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Das Fahrwerk der NineT: Solide und erwachsen.

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Voll beladen: Die 125 PS starke Adventure GS.

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260 Kilogramm Gewicht suchen sich ihren Weg.

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Einige Koffer auf Reisen. Das kann sie gut, die Adventure GS.

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Vom geschotterten Parkplatz aus sieht man nicht nur über einen guten Teil der Insel, sondern auch über die letzten vielleicht 20, 30 Kurven und Kehren, die hier herauf führten. Es hat gut 15 Grad Celsius, hier oben am Berg, im Norden Mallorcas. Ein leichter, aber kalter Wind weht. Es ist der rechte Zeitpunkt, ein wenig innezuhalten. Über das nachzudenken, was der Fritz gestern am Abend gesagt hat. Der Fritz, das ist der Fritz Reichl, BMW Motorrad Österreich Chef.

Er hat auf die Insel geladen, um die neue S1000 R, die R1200 RT, R 1200 GS Adventure und die nineT zu testen. Und er hat gesagt, dass die nineT, seiner Meinung nach, die schnellste der mitgebrachten Maschinen sei, hier auf den engen, winkeligen und großteils schlechten Straßen Mallorcas.

Gestern, nach dem Ritt mit der riesigen, 125 PS starken Adventure GS über den selben Berg, wollte ich das nicht glauben. Mit der größeren Schwungmasse im Motor fährt sie sich noch sanfter, ist trotz 260 Kilogramm und 30 Liter-Tank ein Wendigkeitswunder und so einfach zu fahren wie ein Fahrrad. Da hat ein Einheimischer auf seiner 1000er schon klein beigeben müssen. In den Kehren hatten die Kniepackel ganz schön was zu tun. Aber gut, andererseits, mit dem Akrapovic, da hat man nicht nur permanent ein dämliches Grinsen im Gesicht, sondern auch den Eindruck, dreimal so schnell zu sein, wie man vielleicht in Wirklichkeit ist.

Enorme Freude

Leider war der Insulaner mit seiner nackerten 1000er heute nicht da, der quasi als Urmeter hätte herhalten können. Die Zeit nehmen? Ja, das wäre vielleicht eine Idee gewesen. Hat aber keiner gemacht. Es bleibt das Gefühl im rechten Ellenbogen, dass die GS gestern schneller da oben war. Nicht, weil die nineT noch den luftgekühlten Boxer aus der letzten GS haben darf – wenn die neuen Abgasrichtlinien kommen, darf den Motor bei uns eh leider niemand mehr zulassen. Nein, nein, der 110 PS starke Boxer-Motor macht eine enorme Freude. Der hustet sogar serienmäßig durch ein Akrapovic-Rohr. Klingt mörderisch, geht saugut.

Gehen wir noch einmal ein paar Kehren zurück: Da war Kollegin M. auf der S1000R, die auf der kurzen Zwischengeraden lieber hinter dem Auto geblieben ist, weil der Fahrer nicht so wirklich den Eindruck machte, zu wissen, was er am Volant vollführt. Sie und der Seat gingen in einem Aufwaschen. Danach die Kehre scharf anbremsen. Popsch leicht auf die Kurveninnenseite, Knie raus, einlenken, Blick nach oben. Und dann war da das Schleifgeräusch von der Zylinderabdeckung. Gleichzeitig der Rutscher übers Vorderradl, der Ellenbogen, der am Boden war, der Asphalt formatfüllend im Gesicht. Gut, der Sturz hat Zeit gekostet. Wenn auch nicht viel.

Aufgeschreckter Seatianer

Der Typ im Seat hat genau gewusst, was er tut. Mit voll angezogener Gesichtsbremse hat er seinen Kleinwagen so an mir vorbei dirigiert, dass wir uns nicht berührten. Ein verzwicktes Gesicht ohne Geschwindigkeitsabbau auch bei der Kollegin. Die nutzte aber wohlüberlegt den Schreck des Seatianers zum Überholen.

Aber nein, viel Zeit hat das alles nicht gekostet. Die BMW ist noch gelaufen, als ich sie wieder beim Lenker dawischte. Mit gezogener Kupplung hab ich sie wieder aufgestellt, in Fahrtrichtung gedreht, und es ist sich ausgegangen, dass ich eine Kehre weiter, beim Anbremsen, wieder am Seat vorbei war. In die Gsichter im Auto hab ich mich aber nimmer schauen getraut. Die Angst saß im Nacken, dass es mich in der nächsten Kehre vor lauter Lachen wieder vom Bock reißt. Und da hätte der Typ wohl keine Gnade gekannt und aufs Ausweichen verzichtet.

Sticht ums Eck

Die schlechtere Zeit, die muss am Sturz liegen. Denn obwohl die nineT ja ordentlich auf retro macht – als Hauptkonkurrenten sieht BMW da wohl die Kawasaki W800 an – fährt sie sich wie eine moderne Maschine. Aber wo immer man die nineT abstellt, trauben sich die Menschen drumherum. Auch wenn daneben die anderen BMWs stehen. Sie ist als Grundlage für Customizer gedacht, um daraus individuelle Café Racer – oder was auch immer – zu basteln. Nur mit dem Unterschied, dass die nineT eben nicht nur schön ist, sondern sich auch richtig fahren lässt.

Die sticht ums Eck, dass man auf der S1000R schnell einmal das Nachsehen hat. Und im Vergleich zur Kawa? Die alte W650 wollte ich einmal aufs Knie legen. Nach dem Einlenken hat die mich aber davon überzeugt, dass ich das nicht machen sollte, solange nicht ein Notar darüber informiert ist, was mit meinem Nachlass passieren soll – also wer meine Schulden übernimmt –, sollte ich mit dem sich um sich selbst windenden Rahmen wirklich so weit runterkommen.

Recht gefaltet

Bei der nineT ist das ganz anders. Drücken, legen, hang-off. Schnell, langsam, hart auf der Bremse. Alles egal. Mit dem breiten Lenker und dem Fahrwerk, das diesen Namen wirklich verdient, kann diese Maschine nichts überfordern. Trotzdem war die GS gefühlt schneller. Und sie ist, mit 10 Millimeter mehr Bodenfreiheit als die normale GS und der daraus resultierenden Sitzhöhe von 890 bis 910 Millimeter, für groß gewachsene Menschen deutlich angenehmer. Auf der nineT, mit einer Sitzhöhe von 785 Millimeter, hockt ein 190-Lackl wie ich schon recht gefaltet am Luftboxer.

"Is rutschig, gell?", sagt Kollege S., während er mir fest auf den Buckel haut und mich so aus den Gedanken reißt. Er würde nie sagen: "Mah, du bist ein fester Trottel." Nicht zu mir. Nicht ins Gesicht. Stattdessen spinnt er mit BMW-PR-Chef Michael Ebner erste Customizing-Ideen für die nineT – wie Gurte mit Einkaufwagerl-Rollen, die man auf die Zylinder schnallen könnte. Das Set würde mir zu Ehren auch meinen Namen tragen dürfen. Ob ich am Kurvenscheitel endgültig eingeschlafen sei, will er wissen, weil zu schnell kann ich nie und nimmer gewesen sein, so wie ich fahre, meint er.

Ich bin dann froh, als ich wieder den Helm aufsetzen und mit der angscherten nineT weiter über die Insel reiten darf. Der nächste Kaffeestopp, wo sie wieder über mich herziehen werden und Kollegin M. ihr Schleudertrauma vom Kopfschütteln auskurieren kann, kommt sicher eh viel zu früh. (Guido Gluschitsch, DER STANDARD, 24.2.2014)