In Afrika gibt es geschätzte 7 Millionen Messis und fast 5 Millionen Christiano Ronaldos. Auch Drogba und E'too können durchaus zu Ronaldo aufschließen - sie haben Heimvorteil. Beckhams Stern hingegen ist genauso am Verblassen wie sein Konterfei auf alten T-Shirts.

Foto: Michael Glawogger

Der renommierte österreichische Dokumentarist Michael Glawogger ("Megacities", "Workingman's Death" und "Whores' Glory") ist für sein nächstes Filmprojekt ohne vorgefertigtes Konzept zu einer rund einjährigen Reise aufgebrochen. derStandard.at bringt exklusiv Tagebücher in Form von kleineren Geschichten, die von diesem filmischen Experiment erzählen. Die Beiträge sind im Stil der Geschichten des Buches "69 Hotelzimmer" geschrieben, das 2015 in "Die Andere Bibliothek" erscheinen wird.

foto: liz pompe

Er liebte es, schnell weiter zu ziehen. War er zu lange an einem Ort, dann setzte eine gewisse Routine ein, die er eine Weile genießen konnte, die aber die Tage auch schnell stumpf machte. Stumpf wie einen ungespitzten Bleistift, mit dem man kaum mehr schreiben kann. Egal, was er an solchen Tagen auch tat – alles fühlte sich dann an wie eine Perseveration. Wie ein Lied, das einem nicht mehr aus dem Kopf geht, obwohl man es gar nicht mag. Man summt dann innerlich "Don't worry, be happy", ärgert sich darüber und kann es trotzdem nicht verhindern. Wie unter Zwang tat er an solchen Tagen das gleiche, was er schon am Vortag getan hatte. Und wenn er einen anderen Weg zum gleichen Kaffeehaus nahm und dort etwas anderes bestellte, dann verlief er sich zuerst, und dann schmeckte es ihm nicht.

Er verlief sich also eines Morgens und landete in einer Dibiterie Houssa. Das sind kleine Grillstuben, in denen es Fleischspieße mit Mayonnaise, Zwiebeln und einer Gewürzmischung gibt. Normalerweise haben diese Lokale in der Früh noch nicht offen, aber hier röstete ein junger Mann schon andächtig das sorgfältig aufgespießte, flach gedrückte Fleisch. Er bestellte eine Portion und holte sich noch einen Ingwerkaffee vom Händler auf der anderen Straßenseite. Die Routine war gebrochen, die Sonne schien sanft, und er war weit und breit der einzige Weiße. Hier im Senegal wird darüber kein großes Theater gemacht. Selten rennen einem schreiende Kinder nach, die das Herannahen eines Weißen verkünden, und man nahm seine Hautfarbe mit einer fröhlich-sanften Gelassenheit hin. Es passierte schon, dass die Kinder ihn ungläubig anstarrten. Aber das war meist schon alles.

So auch diesmal. Drei kleine Buben kamen um die Ecke, blieben vor ihm stehen und starrten ihn an. Er schaute zurück und versuchte zu lächeln. Einer der Buben rannte weg und holte noch ein paar Freunde, die ihn dann auch anstarrten. Wahrscheinlich überlegten sie, was sie von ihm wollen könnten. In jedem noch so kleinen Ort in diesem Teil der Welt ist man sofort von einer Schar Kinder umringt, die ein "cadeaux", ein Geschenk wollen. Sie meinen damit zwar vor allem Geld, nehmen aber auch gerne Stifte, etwas zu essen oder auch ein Foto von sich, das sie sofort am Apparat anschauen können. Spricht sich herum, dass es auch nur eines dieser Dinge gibt, wächst die Zahl derer, die dazukommen, rasch. Mit Blechdosen, in denen Reis oder einige Geldmünzen sind, zeigen sie an, was sie sich als Geschenk wünschen. Er gab gerne, sofern er etwas hatte, aber Münzen waren schnell verbraucht, Stifte meist auch, und dann wusste er nicht mehr, was tun.

Namen berühmter Fußballer

An diesem Morgen verteilte er schließlich einige seiner Spieße. Manche der Buben kauten an dem Fleisch herum, andere standen nur da und schauten ihn weiter an. Es wurden immer mehr. Dass es Geschenke geben könnte, machte schnell die Runde, und das Geschehen wurde zunehmend laut und fordernd. Der Besitzer der Dibiterie versuchte, die Buben zu verscheuchen, aber ohne Erfolg. Manche versuchten es in Wolof, andere in Fulani, ein paar sprachen Französisch. Aber sein Französisch war nicht das Beste, und am Englisch wiederum scheiterten die Buben. Da sie aber unbedingt mit ihm sprechen und bei ihm bleiben wollten, versuchten sie es mit den Namen berühmter Fußballer. Das hilft meist und half auch diesmal. Die Buben sagten die Namen auf und zeigten dann mit dem Daumen nach oben oder nach unten (eine Facebook-Life-Performance). Einige trugen auch Trikots mit der Rückennummer und dem Namen der Spieler. In Afrika gibt es auf diese Weise wahrscheinlich geschätzte 7 Millionen Messis und rund 5 Millionen Christiano Ronaldos. Alvez, Rooneys, Riberys und Fabregas, Özils und Lewandowskis gibt es auch, aber deutlich weniger, während Drogbas und E'toos durchaus in die Nähe der Ronaldos kommen. Sie haben Heimvorteil. Beckhams Stern hingegen ist genauso am Verblassen wie sein Konterfei auf älteren T-Shirts.

"Because he is a winner"

Je länger dieses Gespräch dauerte, desto chorischer wurde es. Es ging ein missbilligend-erstauntes Raunen durch die Gruppe, als er zu erkennen gab, Christino Ronaldo nicht leiden zu können, während man sich über Messi natürlich einig war (wie der Rest der Welt). Jedenfalls hatten alle zu allen Spielern eine Meinung, einen Singsang oder sogar eine kleine Demonstration mit einem schlabbrigen Plastikball parat. Dem Besitzer der Dibiterie wurde es schließlich zu viel, und er wurde so streng und forsch, dass er es schaffte, die ganze Bande von kleinen Weltfußballern in alle Winde zu zerstreuen. Dann setzte er sich, um in einer Mischung aus Französisch und Englisch die Diskussion seinerseits fortzusetzen. Er wollte vor allem klar machen, dass letztendlich Mourinho das Maß aller Dinge sei. Der sei ein Role Model für ganz Afrika. Er unterstrich dies theatralisch mit den Worten: "I like Mourinho because he is a winner".

Er ließ den Satz sickern, und dabei entstand ein Bild von Afrika als einem Kontinent von Siegern, die alle schwarze Mourinhos waren. Aber irgendwas ging da nicht ganz zusammen. Er versuchte, Mourinho in ein schlechteres Licht zu rücken - er hätte ja mit Real Madrid keinen Titel geholt, sei ein eingebildeter Affe und hätte überhaupt jegliche Distanz zu seinem Ego verloren. Der Besitzer schaute ihn fassungslos an und wiederholte nur weiter den Satz, der natürlich immer wahrer wurde, je öfter und nachdrücklicher er ihn sagte: "I like Mourinho because he is a winner". Der französische Akzent mit der harten, fordernden Intonation des Wolofschen Idioms gab dieser Überzeugung noch mehr Kraft - und der musste er sich schließlich beugen.

Wenn jede Sprache versagt und der Turmbau zu Babel Wirklichkeit wird, könnte man die Namen von Fußballern zu einem neuen Vokabular machen. Dann würde man statt "I" Ronaldo sagen (wegen der Identifikation), statt "like" Messi (weil er am meisten geliebt wird), statt "Mourinho" Mourinho (weil er er ist), statt "because" Boateng (wegen der Alliteration), statt "he" Rooney (weil er der männlichste ist), statt "is" Ribery (weil der so authentisch ist), statt "a" Alvez (weil sein Name mit a beginnt) und statt "winner" Drogba (weil der wirklich einer ist). Das würde sich sprachlich etwas verschleifen und klänge dann etwa so: "Ro messi Mourinho boate roo ri al drogba."

Dann könnte es wohl wahr werden - für ganz Afrika. Halleluja. (Michael Glawogger, derStandard.at, 16.2.2014)