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Die Pussy-Riot-Mitglieder Maria Aljochina (li.) und Nadeschda Tolokonnikowa wurden am Montag bei Protesten in Moskau festgenommen. Während der Olympischen Spiele hatte sich die russische Führung zurückgehalten.

Foto: EPA/SERGEI CHIRIKOV

Bei der Preisverleihung sahen die russischen Zuschauer einen strahlenden Wladimir Putin. Mit 13 Goldmedaillen, elfmal Silber und neunmal Bronze, war Russland die erfolgreichste Nation bei Olympia; und der russische Präsident ließ es sich am Montag nicht nehmen, die Athleten mit Orden auszuzeichnen.

Die Spiele in Sotschi hätten Russland als modernes, facettenreiches und offenes Land gezeigt, freute sich Putin; alle in den Sport getätigten Investitionen hätten sich gelohnt. Er lobte die eigenen "beeindruckenden Athleten, die die Welt erstaunen und begeistern können, den Menschen Freude bringen und die Herzen Millionen unserer Mitbürger höher schlagen lassen und sie mit Stolz für ihr Vaterland erfüllen". Diese bedankten sich als Gegenleistung artig für die "tolle Organisation" in Sotschi. Paarläufer und Doppel-Olympiasieger Maxim Trankow pries im Fernsehen den "unschätzbaren persönlichen Beitrag" Putins zum Erfolg der Spiele.

Das aus russischer Sicht grandiose Abschneiden bei Olympia dürfte die russische Führung über die Entwicklung in der Ukraine hinwegtrösten. Sotschi als wichtigstes Imageprojekt Putins innerhalb der letzten fünf Jahre war trotz aller Korruptionsgerüchte drumherum erfolgreich. Zugleich muss sich Putin aber während der Olympischen Winterspiele und der zeitgleichen Ukraine-Krise wie ein Akteur im Scheinwerferlicht gefühlt haben, dem jede falsche Bewegung zum Verhängnis werden kann.

Der Zeitpunkt für das aktive Handeln der ukrainischen Opposition gegen Präsident Wiktor Janukowitsch sei bewusst gewählt, vermuten daher einige Experten. "Viele meiner Kollegen glauben, dass der Moment kein Zufall war; Russland ist beschäftigt, und man kann ihm die Feier verderben", so der Moskauer Politologe Fjodor Lukjanow zum Standard. Er lehnt selbst allerdings "solche Verschwörungstheorien" ab.

Hände gebunden

In jedem Fall waren der russischen Führung während der Spiele die Hände gebunden. So beschränkten sich die Maßnahmen Moskaus auf scharfe Kritik an der ukrainischen Opposition und am Westen wegen der Gewalt, größtenteils wurde sie vorgetragen von Außenminister Sergej Lawrow, während sich Putin - offenbar von der rasanten Entwicklung in Kiew überrascht - völlig im Hintergrund hielt.

Nun könnten die Zügel innen- und außenpolitisch wieder angezogen werden: Als Beispiel gilt das Urteil im Bolotnaja-Prozess, wo nur einen Tag nach Ende der Spiele sieben der acht wegen der Randale zur Putin-Inauguration 2012 Angeklagten zu Haftstrafen verurteilt wurden. Vor dem Gericht nahm die Polizei rund 200 Demonstranten fest, darunter Alexej Nawalny und die Pussy-Riot-Aktivistinnen Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina.

Auch bezüglich der Ukraine bezieht Russland nun klar Position: Premier Dmitri Medwedew hat die Rechtmäßigkeit der neuen Regierung infrage gestellt: "Da gibt es niemanden, mit dem man reden kann; die Legitimität einer Reihe von Machtinstitutionen erweckt große Zweifel", sagte er. Zugleich soll Russland Agenturberichten zufolge den geflohenen ukrainischen Präsidenten auf seinem Flottenstützpunkt in Sewastopol auf der Krim beherbergen. In Kiew wird er als Verantwortlicher der blutigen Auseinandersetzungen von der neuen Führung gesucht.

Sanktionen angedeutet

Geradezu reflexartig reagierte die russische Landwirtschaftsbehörde, die nach dem Machtwechsel Bedenken an den Veterinärkontrollen der Ukraine äußert. Zur Erinnerung: Der Abkehr Kiews von der Assoziation mit der EU im vorigen Herbst war ein Zollkonflikt mit Russland vorausgegangen.

Russland behalte weiterhin großen Einfluss auf die Ukraine, ist Lukjanow überzeugt. Laut dem Politologen wird der Kreml dabei in erster Linie auf finanzielle Hebel setzen. Kiew brauche dringend Geld, um den Staatsbankrott abzuwenden. Die Ukraine schuldet Russland bereits einen Milliardenbetrag für Kredite und bisher unbezahlte Gasrechnungen. "Ohne russisches Einlenken wird es also nicht gehen", kommentiert der Experte.

Seinen Angaben nach sind für Moskau die Punkte Blockfreiheit der Ukraine (also kein Nato-Beitritt) und Erhaltung des eigenen Flottenstützpunkts prioritär. Daneben werde Russland sich auch einer "radikalen Ukrainisierung" seines Nachbarlands - das heißt einer Diskriminierung der russischen Sprache und Bevölkerung - widersetzen, fügte er hinzu. Die Frage nach der Zugehörigkeit zur Zollunion sei angesichts der wirtschaftlichen Probleme in Kiew hingegen sekundär. (André Ballin aus Moskau, DER STANDARD, 25.2.2014)