Der New Yorker Discjockey und Produzent Ron Morelli teilt, wie man im Englischen sagt, einen Witz: Mit fröhlichen alten sexy Disco-Platten hat sein Label L.I.E.S. definitiv nichts am Hut.

Foto: L.I.E.S.

Wien - Eine traurige Glühbirne mit schwacher Leistung flackert irgendwo weit hinten am Ende eines Ganges. Wenn man zu schnell auf diese zuläuft, stellt sich mit absehbaren Folgen bald heraus, dass es sich um eine Sackgasse handelt. Aua! Dies hier ist der Ausgang eines Kellerclubs, aus dem es kein Entkommen gibt. Jemand hat im Laufe der letzten Nacht die Tür zugemauert. Bevor wir es also noch einmal, aber dieses Mal mit mehr Anlauf probieren (die rühren den Zement hier auch nur mit Wasser an!), stolpern wir lieber zurück.

Drüben hinter der leeren Tanzfläche mit Red-Bull-Pfützen, verbeulten Bechern und Bewusstlosen drauf, befindet sich die traurigste Bar der Welt. Sie ist längst leer. Auch hier nur Notbeleuchtung. Nur ein junger Mann mit weit aufgerissenen Augen torkelt mit zwischen Schulter und Ohr geklemmtem Kopfhörer im Rhythmus der offenbar von Ingenieuren mit ADHS-Syndrom programmierten Maschinen hinter der DJ-Budel herum. In den Schläfen pocht es, die Nase brennt, alles fühlt sich verspannt an. Weiß Gott, das ist kein grippaler Effekt, der sich da ankündigt.

Aus den Lautsprecherboxen scheppern leere Blechdosen, dazu werden Halleffekte gemischt. Als Bassdrum wird eine leere Mülltonne verwendet. Dazu schießt der Schmerz in den Kopf wie der dünne Bohrer vom Zahnarzt an besonders heiklen Stellen. Sie befinden sich ganz hinten im Oberkiefer. Wenn man mit dem Kopf leicht nach unten im Stuhl liegt und einen die Ordinationshilfe im Schwitzkasten festhalten muss, weil die Spritze nicht wirkt, gelangt man zu ihnen. Hören mit Schmerzen.

Das nächste Stück, zu dem der DJ zuckt, kennen wir aber. Es kommt von der deutschen Band Kraftwerk, beinhaltet kitschig-schlierige Keyboardakkorde, geht aber im Dröhnen und Kreischen des Bohrers unter. Hat zufällig jemand eine Stange Dynamit einstecken? Laut Taschentelefon ist es draußen früher Nachmittag und wir wollen uns nun wirklich langsam auf den Nachhauseweg machen.

Das in Brooklyn, New York, beheimatete Label L.I.E.S. (Long Island Electrical Systems) hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Musik zu veröffentlichen, die das durchaus auch heiter gewordene Techno-Genre zurück in die Dunkelheit holt. Harte Sounds, harte Drogen, harte Clubs. Zumindest von der Idee her.

L.I.E.S.-Labelchef Ron Morelli ist nicht gerade ein Sonnenkönig. Er bezeichnet seine Heimatstadt als Senkgrube, sein eigenes musikalisches Schaffen als "Stress Music" und er spricht Journalisten ins Diktiergerät: "Die Leute sind schrecklich, und sie werden es immer sein. Das ist die traurige Wahrheit seit Anbeginn der Menschheit. Wir werden alle einmal einsam und allein sterben."

Morellis aktuelles Album Spit, ein roher, ungeschliffener und aus Prinzip nicht verfeinerter und nachbearbeiteter Brocken harter, düsterer Schwarzseher-Techno, ist zwar beim befreundeten, ebenfalls in schwarzem Schwarz gehaltenen Industrial- und Technolabel Hospital Productions des unter den Pseudonymen Vatican Shadow und Prurient agierenden New Yorker Kumpels Dominick Fernow erschienen. Das klingt im Gegensatz zu L.I.E.S. mehr nach Stahlküche als nach Zahnarzt. Wie die aktuelle L.I.E.S.-Leistungsschau Music For Shut Ins so wie ihr Vorgänger American Noise beweist, trifft das aber auch auf die Kunst der eigenen Label-Acts vollinhaltlich zu.

Leute wie Svengalisghost aus Chicago oder Florian Kupfer aus Berlin sowie Legowelt oder Xosar belegen zwar mit ihren Tracks, dass hier früher auch einmal so etwas Ähnliches wie Partys stattgefunden haben. Acts wie Shadowlust, Greg Beato oder Vapauteen präsentieren aber gleichzeitig eine Kälte und Verzweiflung, wie sie bislang selten auf dem Dancefloor zu hören war. Gänsehaut. Angst und Schrecken im Club. Die Welt ist schlecht. Der Mensch ist durch und durch böse. Ron Morelli wohnt jetzt in Paris. Vielleicht wird alles nicht gut, aber besser. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 26.2.2014)