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Verschleierungstaktik in den nebeligen Bergen Guilins: In der Hochsaison sind Flößer auf dem Li-Fluss selten einsam.

Foto: Corbis / Steven Vidler

Anreise O Von Wien nach Xiang fliegt unter anderen Finnair via Helsinki sehr günstig.

Reisezeit O Ideal in der Nebensaison sind April und November. Li-Flusskreuzfahrt O Zum Beispiel bei Tai Pan (www.taipan.at).

Ausstellung O Die Terrakotta- Armee (www.terrakottaarmee.de) weilt noch bis 2. 3. in Wiener Neustadt und zieht dann nach Bochum um.

Grafik: DER STANDARD

Ein Kokon aus Dunst und Nebel hat die Gegend um Guilin schon seit Tagen eingehüllt. Vier Stunden verharren die Ausflügler auf dem Oberdeck und blicken wie durch schmutzige Scheiben auf eine der romantischsten Landschaften, die China zu bieten hat: Ketten graugrüner Karsthügel, manche so dicht beieinander, als würden sie Händchen halten. Andere wecken beim Betrachter Fantasien von Drachen, duschenden Frauen, Helmen und Elefantenrüsseln. Am Ufer des Li-Flusses toben Wasserbüffelkälber, und aus den Phönixbambuswäldern klingt das Zirpen von Zikaden wie knisternde Hochstromleitungen an regnerischen Tagen. Trotz dunstgrauer Luft macht die Flusslandschaft eine gute Figur. Sie ist das schöne Gesicht einer armen Region und soll die Armut nun mit ihrer Schönheit vertreiben, indem sie Touristen lockt. Und die kommen zu Millionen, auch aus Europa.

Berühmte Bilder aus dem Kontext ihrer Landschaft zu zitieren, das werfen die Europäer den Chinesen gern vor. Man denke nur an die seitenverkehrt aufgestellte Hallstatt-Kopie in der südchinesischen Provinz Guangdong. Doch was machten die Europäer, nachdem chinesische Bauern aus Xiang vor vierzig Jahren im März 1974 zufällig die Terrakotta-Armee entdeckten? Sie holten 150 Krieger des ersten Kaisers von China zu sich, damit sie seit nunmehr zwölf Jahren Frankfurt, Mallorca oder Wiener Neustadt erobern. Und dann gibt es da noch dieses ganz besondere Bild: das von den Asiaten, die schon beim Eiffelturm überlegen, wie sie sich vor dem Stephansdom ablichten lassen, ehe sie drei Tage später im Kolosseum sitzen.

Europäer dagegen hören auf ihren Rundreisen durch China zuerst den Nostalgie-Kommunismus über Pekings Plätze husten, treten in Xiang als Touristen-Heer der Terrakotta-Armee gegenüber, und bevor sie sich in Schanghai anschauen, welche psychedelische Wirkung Drogenpilze auf Städteplaner und Architekten haben können, möchten sie während einer Flussfahrt auf dem Li chinesische Idylle genießen. In der Hochsaison wollen das rund 10.000 Touristen am gleichen Tag, zur gleichen Zeit. Bis zu einhundert Boote starten dann am Morgen in Guilin, um die sechzig Kilometer bis nach Yangshuo im Konvoi zurückzulegen. Das ist besonders praktisch für die schwimmenden Händler auf ihren Bambusflößen. Sie klammern sich kurz an der Längsseite der Ausflugsboote fest und recken den Passagieren Holzschnitzereien oder gerupfte Hühner entgegen. Kommt kein Kauf zustande, lassen sie sich einfach ein paar Meter weiter zum nächsten Boot treiben.

Das echte China der Cowboys

Am Ufer schlagen Frauen an großen Flusssteinen den Dreck aus ihrer Wäsche. Auf schmalen Bambusrohren dösen Kormorane, und blassgelbe Hüte der Reisbauern lugen wie Schwammerln aus den Terrassenfeldern hervor. Liegt hier das echte China, so wie es war, bevor das Land dem Kapitalismus die Tür öffnete? Als Antwort darauf galoppiert ein Reiter mit Cowboyhut und Jeans durch die Karstlandschaft: der chinesische Marlboro-Mann. Er ist so symbolhaft wie der 20-Yuan-Schein, auf dem Guilins Karstkegel in tabakbrauner Farbe abgebildet sind. Mit dieser Gegend lässt sich Geld machen.

Die meisten Dörfer in der Provinz Guangxi sind traditionell landwirtschaftlich geprägt. Die Industrialisierung entwickelte sich langsam, doch mittlerweile nimmt die Region in der Strategie der chinesischen Regierung eine Schlüsselstellung bei der Wirtschaftsförderung ein. Große Vorkommen an Bauxit, Mangan und Zinn, die Energiegewinnung durch Wasserkraft und der Tourismus sollen den Wohlstand wachsen lassen. "Lasst einige vor den andern reich werden", hatte Deng Xiaoping zu Beginn seiner Reformpolitik in den 1980er-Jahren gefordert. Jetzt also sind die Bauern in Guangxi dran - schon beim Verlassen der Ausflugsboote in Yangshuo ist Erwartung zu spüren.

Am Kai lacht ein alter Fischer, auf dessen Tragjoch zwei Kormorane hocken, für fünf Yuan in die Kameras der Touristen. Der Weg ins Zentrum ist zu beiden Seiten eingezäunt von Souvenirständen und Restaurants, und der Gesichtsausdruck einiger Verkäufer gleicht dem der Kellner in italienischen Touristenhochburgen, deren maskenhaftes Lächeln augenblicklich aus dem Scharnier springt, sobald sie einem den Rücken kehren. Alte Frauen in bestickten Trachtenjacken der Zhuang-Minderheit folgen den Touristen wie Schleppenträgerinnen, erst durch die Straßen Yangshuos, später auf ihren Spaziergängen durch Reis- und Erdnussfelder. Sie fragen nicht nach deren Bedürfnissen, sondern glauben einfach an den unterstellten Reichtum der Touristen. Umgeben von Karstbergen, Wasserbüffeln, Pipa- und Grapefruitbäumen bieten sie hölzerne Massageklopfer, Küchenschürzen und geknotete Glücksbringer zum Kauf an. Die Fremden hätten doch das Geld, all das zu erwerben.

Faulgas und anerkennende Laute

In Großraumrikschas knattern und rumpeln die Touristen weiter durch die Umgebung Yangshuos bis auf den Hof einer Bauernfamilie. Die Backsteinhäuser sind einstöckig. Die Toilette liegt direkt neben dem Schweinestall, und die Dusche ist Teil der Küche, nur durch einen schmalen Mauervorsprung von ihr getrennt. Anerkennende Laute schließlich vor der Faulgasgrube im Hinterhof: Sogar chinesische Bauern nutzen alle anfallenden Fäkalien ganz im ökologischen Sinne zur Biogaserzeugung. Vor dem Eingang zum Haupthaus spielen die Alten der Familie Karten. Die Enkelkinder auf ihrem Schoß folgen den Fremden auf Zehenspitzen mit ihren Blicken: So also sehen Touristen aus.

Auf den Wänden des Wohnraumes erzählen Tuschezeichnungen und Schulurkunden vom Talent der ältesten Tochter. Über den Porträts von Mao Zedong und Deng Xiaoping schwingt das Pendel einer Uhr, und in handgefertigten Holzrahmen vergilben die Schwarz-Weiß-Fotos von drei Generationen der Familie. Für sie alle war dieser Hof die Heimat des kleinen Glücks. Heute dürfte das Glück aber ruhig ein bisschen größer sein und soll ebenso wachsen, wie es das im nahen Dorf Hongyan schon getan hat.

150 Bauern bewirten dort täglich rund 1800 Touristen. Von ihrem Verdienst renovieren sie Häuser, richten Gästezimmer ein, verdienen noch ein wenig mehr Geld, bauen neue Häuser, Restaurants und Hotels. So wünscht es sich auch die Bäuerin in Yangshuo. Sie öffnet jedem ihr Haus und schenkt ihr Lächeln, Erdnüsse und Wasserkastanien her. Nach ihrer Heimkehr werden die Europäer dann Fotos vom buttergelben Schlafzimmerschrank der Bäuerin zeigen, auf dem ein wuchtiger Röhrenfernseher und eine leere Vase stehen, von der steinernen Sojamilchpresse im Hof und von der Biogasanlage. Sie werden dann sagen können: "So also leben chinesische Bauern." (Nicole Quint, DER STANDARD, Rondo, 28.2.2014)