Mahmoud Majdal neben einem seiner Werke: Eines seiner Bilder muss er zurücklassen, um sein Stipendium zu finanzieren.

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Der Maler schaut auf die riesige weiße Leinwand vor sich - und fühlt sich deplatziert. Wie ein großes Missverständnis, denkt er. Mahmoud Majdal steht in diesem ehemaligen Pferdestall mit Rundbogenfenstern, überall liegen Pinsel herum. Eine Katze schleicht um ein Grammofon, ein Hund schläft beim Kamin, es ist sehr ruhig hier in der lichtdurchfluteten Künstlerresidenz in Aley, einem libanesischen Bergdorf.

Keine Chemiewaffen werden ihn töten, kein Heckenschütze erschießen. Es könnte ein entspannter Moment fern von der Apokalypse sein. Aber Majdal muss sich erst daran gewöhnen, dass keine Granaten zu hören sind. Der Syrer sieht sehr müde aus. Die Strapazen des Krieges lassen den 29-Jährigen zehn Jahre älter wirken, er raucht unaufhörlich. "In Damaskus ist überall Tod", sagt er. "Es ist lange her, dass ich in einer ruhigen Nacht durchschlafen konnte."

Majdal ist Stipendiat der Art Residence Aley, einem Refugium für syrische Künstler. Der Zufluchtsort wurde von der Syrerin Raghad Mardini gestaltet und im Mai 2012 eröffnet. Die zierliche Bauingenieurin mit dem braunen, langen Haar ist in Damaskus aufgewachsen und lebt seit der Trennung von ihrem Ehemann 2008 mit ihren beiden Kindern in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Sie bezeichnet sich als "absolute Kunstliebhaberin". Erst vor kurzem starb ihr Bruder. Ob er im Krieg umgekommen sei? Sie beißt sich auf die Lippen, um die Tränen zu unterdrücken. "Ja, er ist an den Kriegsfolgen gestorben."

Ihre Villa Massimo ist ihre Form von zivilem Protest gegen die Hölle in ihrer Heimat. "Ich will zumindest einigen Syrern einen geschützten Ort bieten, an dem sie sich kreativ entfalten können." Deswegen vergibt sie Stipendien an Künstler, die in Syrien leben. Vier Wochen lang können sich je zwei Kreative fern vom Tod auf ihre Arbeit konzentrieren. "Kunst kann helfen, den Schmerz zu lindern", sagt Mardini.

Auch Majdals Ölgemälde zeugen von dem Leid, welches er mit ansehen musste. So zeigt ein beklemmendes Werk einen zerbrochenen Spiegel, in den ein Mann mit verschwommenen Konturen und traurigen Augen hineinschaut. "Vielleicht bin ich das", sagt er. Seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im März 2011 male er nur noch von der ständigen Angst, die er mit sich trage. "Dieses Gefühl fließt einfach aus mir heraus", meint Majdal.

Im März sind es drei Jahre, seit der Bürgerkrieg Syrien erschüttert, mehr als 100.000 Menschen sind gestorben. Mindestens 2,4 Millionen Syrer sind ins Ausland geflüchtet. Im vergangenen Jahr hat die österreichische Regierung 500 Syrern Asyl versprochen, bisher sind keine 200 hier.

Die Genfer Syrien-Konferenzen endeten ohne ein greifbares Ergebnis. "Die schlechten Nachrichten aus unserer Heimat zermürben uns, wir brauchen auch Pausen von dem Elend", so Mardini. Deswegen gibt es hier oben auch keinen Fernseher oder Radio. Das Paradies auf Zeit soll möglichst nicht gestört werden.

Es gibt nur zwei Bedingungen, um dieses Stipendium zu erhalten: Über Politik und vor allem Religion soll in der Art Residence nicht gesprochen werden. "Es ist unwichtig, welchen Glauben jemand hat", so Mardini. Die zweite Bedingung ist, dass die Künstler eine ihrer Arbeiten hinterlassen. So hat die Mäzenin schon mehr als 30 Objekte gesammelt, mit deren Verkauf sie das Programm finanziert und ein Museum im Libanon aufbauen will.

Mahmoud Majdal weiß noch nicht, was seine Gabe sein wird. Sicher ist: Sie wird eine politische Botschaft haben. Majdal wird von dem Krieg malen, in den er in vier Wochen zurückkehren muss. (Cigdem Akyol aus Beirut, DER STANDARD, 1.3.2014)