Frank Vranitzky (links) und Wolfgang Schüssel nach 20 Jahren wieder Seite an Seite beim Festakt im Wiener Haus der EU.

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Legendär wurde 1994 das Busserl von Alois Mock für Koverhandlerin Brigitte Ederer.

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Es ist gegen vier Uhr früh, ein Mittwoch, als die Sondermaschine der Austrian Airlines auf dem Vorfeld des Flughafens Wien-Schwechat hält. Eine seltsame Ankunftszeit, als Nachtflugverbote in Hauptstädten wie Brüssel und Wien noch strikt waren.

Aber dieses Flugzeug hatte am 1. März 1994 von den belgischen Behörden eine Sondergenehmigung bekommen. Jetzt steht Verkehrsminister Viktor Klima an der Treppe vorn am Cockpit. Der frühere Finanzvorstand der ÖMV (ab 1997 Bundeskanzler) gilt als cooler Typ. Als er rausschaut, kommen ihm die Tränen. So wie viele in der Gruppe, die völlig erschöpft aus dem Flugzeug wanken, lässt er seinen Gefühlen ihren Lauf.

Tage und Nächte der "langen Messer"

Wenn man 40 oder 50 Stunden nicht schläft - so lange dauerten zwei lange Tage und Nächte "der langen Messer" im Finale -, geht das ganz schnell.

Alois Mock steigt die Gangway herunter. Als Außenminister war er der Leiter jener österreichischen Delegation aus Ministern, Sozialpartnern, Experten, die sechs Stunden zuvor im Brüsseler Ratsgebäude die Bedingungen zum Beitritt Österreichs zur Europäischen Gemeinschaft ab 1. Jänner 1995 ausgehandelt hatte.

Mock stolpert, fällt seiner Frau in die Arme, die auf dem Flugfeld auf ihn wartet, flankiert von Bundeskanzler Franz Vranitzky und Vizekanzler Erhard Busek. Der Außenminister wird bald als der "Held von Brüssel" gelten, jener Mister Europa, der trotz erster Anzeichen einer Parkinson-Krankheit ohne jede Rücksicht auf seine Gesundheit gekämpft hat.

Bravo-Rufe

Gleißendes Licht fällt auf die Ankömmlinge. Ein paar Hundert Menschen, vorwiegend junge, rufen "Bravo!", klatschen. ORF-Kameras überall. Ein Fotograf sagt: "Das wird alles im Fernsehen übertragen, live!" Völlig verrückt. Im Rückblick, aus heutiger Sicht in Zeiten der allgemeinen EU-Skepsis, kaum nachzuvollziehen.

Auch für die Regierungsmitglieder, die sich am Freitag, 20 Jahre später, im "Europahaus" in Wien trafen: Exkanzler Franz Vranitzky, Wolfgang Schüssel (damals Wirtschaftsminister), die Exminister Franz Fischler (später EU-Kommissar), Ferdinand Lacina (Finanzen), Brigitte Ederer und, und, und (siehe eigener Bericht).

Wieder zurück zum 26. Februar 1994: Österreich verhandelt parallel mit Schweden, Finnland und Norwegen. Aber anders als bei den Schweden und Finnen wäre der Beitritt Wiens nach drei Tagen beinahe im letzten Moment geplatzt: am Transitvertrag, für den Klima zuständig war. Der Vertrag schränkte die Lkw-Durchfahrt mit einem "Ökopunktesystem" ein und sollte ab dem Beitritt zehn Jahre weiter gelten. Die EU-Staaten - voran Frankreich - akzeptierten das nicht, verlangten eine Freigabe nach fünf Jahren.

Mitterrands Weisung

Die anderen damals noch ausständigen Verhandlungskapitel - Zweitwohnsitze, Landwirtschaft und Finanzen - waren auch schwierig, wurden aber gemeistert. Fischler musste über Nacht das Konzept total umschreiben, weil die EU das Preisstützungssystem für Bauern ablehnte und ultimativ den Umstieg auf Direktzahlungen im Binnenmarkt forderte.

Das wurde alles wegverhandelt (der Jungexperte, der für Fischler umplante, war ein gewisser Andrä Rupprechter, heute Minister). Der Stolperstein war der Brennertransit, in Österreich ein heiliger Gral. Klima "traute" sich nicht nachzugeben, stand bleich an der Wand, als der mitgereiste Wiener SP-Finanzstadtrat Hans Mayr zu ihm sagte: "Scheiß di net an, Vickerl, des moch ma scho!" Von Wien aus telefonierte Vranitzky mit Staatspräsident François Mitterrand wegen der "eco-points". Soll Österreich EU-Mitglied werden? "Oui", kam die Antwort. Minuten später gab Europaminister Alain Lamassoure sein Veto auf: für eine "3-mal 3 Jahre"-Lösung. Und Mock hielt im Ratssaal seine berühmte Dankesrede, am "glücklichsten Tag seines Lebens".

Dann begann die Debatte bis zum Referendum am 12. Juni: FPÖ und Grüne waren strikt gegen den EU-Beitritt, SPÖ und ÖVP dafür. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 1.3.2014)