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Marcel Koller (53) ist seit November 2011 Teamchef. Er weiß, was auf Österreich zukommt.

Foto: apa/Neubauer

Standard: Dreieinhalb Monate ohne Länderspiel. Hatten Sie schon Entzugserscheinungen?

Koller: Es war nicht so schlimm. Man weiß ja, dass man als Teamchef im Winter eine Spielpause hat. Im Dezember war es wichtig, wegzukommen, abzuschalten. Ich habe auch gespürt, dass ich müde und geschlaucht bin. Die Erholungszeit war wichtig, jetzt sind die Batterien voll aufgeladen. Ich bin fokussiert und hoffe, die Spieler sind es auch, aber davon gehe ich aus. Ich habe mir sechs Spiele von Uruguay angeschaut. Damit ich weiß, was auf uns zukommt.

Standard: Haben Sie die verpasste WM-Quali noch einmal aufgearbeitet? Gab's neue Erkenntnisse?

Koller: Man reflektiert permanent. Die Nachbetrachtung findet immer gleich nach dem Ereignis statt. Schlecht war, dass wir in Schweden noch kurz vor Schluss das 1:2 bekommen haben und in der zweiten Halbzeit nicht so aufgetreten sind wie in der ersten. Die Burschen waren selbst ein wenig überrascht, wie sie die Schweden in der ersten Halbzeit kontrolliert haben. Ich habe noch in der Pause, wir führten 1:0, gewarnt, dass die Schweden kommen müssen und werden. Wir konnten die Defensivleistung nicht weiter so perfekt aufrecht halten. Taktisch hätte es sehr gut gepasst.

Standard: Routinemangel?

Koller: Möglicherweise. Aber wir hatten auch physische Probleme. Es fehlte einigen die Kraft, diese Taktik über 90 Minuten umzusetzen und durchzuhalten. Wir hatten gehofft, dass es sich ausgeht.

Standard: Die WM in Brasilien ist eher Wunschtraum gewesen. Bei der EM in Frankreich verhält sich das anders, die Öffentlichkeit erwartet die Teilnahme. Sogar die Gruppendritten kommen ins Playoff. Ist die Qualifikation ein Muss?

Koller: Wenn Sie die Gruppe mit Russland, Schweden, Montenegro, Moldawien und Liechtenstein anschauen, ist es ein Muss?

Standard: Die Frage galt Ihnen.

Koller: Die Erwartungshaltung vieler Menschen ist doch, dass wir schon fix in Frankreich sind.

Standard: Die Leute gehen davon aus, dass zumindest der dritte Platz möglich sein müsste. Das Team hat ja bewiesen, mit Schweden auf Augenhöhe zu sein, und Russland ist schwächer als Deutschland.

Koller: Es wollen aber alle nach Frankreich, ein Muss ist etwas anderes. Wenn wir auf Augenhöhe mit Schweden sind, ist es Montenegro mit uns. Es werden ganz knappe Spiele, die du erst einmal gewinnen musst. Montenegro hat zum Beispiel England daheim besiegt. Russland werde ich in Brasilien genau beobachten. Trainer Fabio Capello ist ein alter Fuchs, der viele Schlachten geschlagen hat. Und er sagt, dass in der Gruppe alles offen ist.

Standard: Kann man sich darauf einigen, dass sich Österreich nicht qualifizieren muss, sondern soll.

Koller: Ja, das wäre schön. Ich kann und werde nichts versprechen. Ich stelle keine Hochrechnungen an und schaue, so banal es klingen mag, von Spiel zu Spiel.

Standard: Trotzdem. Stehen Sie nun erstmals als Teamchef unter richtigem Druck?

Koller: Nein. Als ich 2011 gekommen bin, herrschte Skepsis. Viele haben auf den Koller reingehauen. Ist das kein Druck?

Standard: Doch, aber die Erwartungshaltung war niedriger.

Koller: Mag sein. Die Spieler haben sich tatsächlich gut entwickelt. Sie haben gesehen, was sie können, wissen, wie es geht. Sie haben die richtigen Gedanken. Kannst du das alles am Platz aber nicht umsetzen, so ist es leider, entschuldigen sie den Ausdruck, beschissen. Jeder Spieler kann und muss noch mehr aus sich rausholen. Tag für Tag.

Standard: Die Vorbereitung auf die Qualifikation umfasst drei Spiele: Uruguay, Ende Mai Island, Anfang Juni Tschechien. Zufrieden mit der Auswahl?

Koller: Wir mussten langfristig planen. Wir hofften noch, es nach Brasilien zu schaffen, also wollten wir gegen einen Südamerikaner proben. Uruguay ist ein Topteam, aber auch Island und Tschechien sind Topgegner. Man muss gegen die Stärksten spielen, um zu lernen. Man will ja auch erfahren, wo seine Grenzen sind.

Standard: Hat Sie die Entwicklung der Mannschaft überrascht? Sie ist Liebkind geworden. Was war für Sie die positivste Erkenntnis?

Koller: Dass wir einen Teamgeist entwickelt haben. Jeder kommt gerne, jeder hat seinen Platz in der Gruppe. Ich war in der Schweiz auch Nationalspieler, bin manchmal nicht mit Freude erschienen. Das soll und darf nicht sein. 2012 hatten wie vor dem Trainingslager in Seefeld zehn Absagen, einige wollten wahrscheinlich schon in den Urlaub. Ich habe jedem gesagt, komm vorbei, sprechen wir darüber. Und konnte jedem klarmachen. Hallo, du bist Nationalspieler. Bist du nicht bereit, mehr als andere zu tun, wird man sich für nichts qualifizieren. Für Nationalspieler ist nach Ende der Meisterschaft noch nicht Urlaub.

Standard: Auffallend ist, dass Sie auf ein fixes Personal setzen. Formschwankungen oder der Verlust des Stammplatzes beim Verein sind nahezu unerheblich. Das Team ist fast eine geschlossene Gesellschaft geworden. War das so geplant?

Koller: Man hat einen Plan, man hat Ideen. Diese zu vermitteln, dauert. Kommt jedes Mal ein neuer dazu, müsste er an einem Tag kapieren, wofür die anderen zwei Jahre Zeit gehabt haben. Der Stamm steht, muss stehen. Drängt sich einer durch herausragende Leistungen auf, ist er willkommen. Geht es schief, halte ich den Kopf hin.

Standard: Ihre Beliebtheitswerte steigen, nach der Vertragsverlängerung wurden quasi landesweit Konfettiparaden abgehalten. Wie erklären Sie diese Zuneigung?

Koller: Ich arbeite viel und versuche, nicht hochnäsig zu sein. Das schätzen die Österreicher. Die Vertragsverlängerung war die schwierigste berufliche Entscheidung meines Lebens. Ich bereue sie nicht.

Standard: Erstaunt Sie die Klasse von Red Bull Salzburg? Nützt die Dominanz dem österreichischen Fußball, oder schadet sie auch ein wenig? Schließlich ist die Liga fad.

Koller: Salzburg beeindruckt und nützt der Liga, denn es profitieren die anderen Mannschaften. Sie müssen sich überlegen, wie man mit den eigenen Möglichkeiten einen Weg findet, zu bestehen. Das ist gut für die Entwicklung.

Standard: Fußball ist eine Wiederholung. Die Quali startet am 8. September gegen Schweden. Davor müssen Sie über die Klasse des Zlatan Ibrahimovic sprechen. Fällt Ihnen jetzt schon etwas Neues ein?

Koller: Nein. Es hat sich überhaupt nichts geändert. Er ist überragend. Schweden ist nicht Ibrahimovic, aber Ibrahimovic macht oft den Unterschied aus. Das ist der Text vom 7. September. (Christian Hackl, DER STANDARD, 01./02.03.2014)