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Extremisten der ultranationalistischen Paramilitärs "Rechter Sektor" üben den Straßenkampf.

Foto: AP/Bandic

Die Hektik, die sich nach der russischen Ankündigung einer Intervention in der Ukraine am Samstag auf allen diplomatischen Kanälen ausbreitete, war erwartbar. Für den politischen Beobachter ist lediglich die internationale Überraschung überraschend: Zu absehbar sind bei dem Machtspiel in der Ukraine Aktion und Reaktion, als dass irgendjemand über die Ereignisse erstaunt sein sollte.

Doch zumindest im Falle der EU dürfte die Ratlosigkeit glaubhaft sein, wurde doch von Brüssel und den Mitgliedsstaaten sowohl die Situation in der Ukraine als auch die Rolle Russlands von Beginn an gründlich missverstanden.

Zweifelhafte Opposition

Anders ist die bedingungs- und kritiklose Unterstützung der EU für eine Opposition mit zweifelhafter Zusammensetzung und unklarer Orientierung gegen eine gewählte Regierung nicht erklärbar.

Da kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die neue Führung in Kiew einen baldigen EU-Beitritt als Ziel nennt (ganz abgesehen davon, dass ein solcher völlig unrealistisch ist). Die ukrainische Maidan-Bewegung besteht nicht nur aus der Timoschenko-Partei "Vaterland" und Vitali Klitschkos "Udar" (die im Übrigen als einzige nennenswerte Partei über ein halbwegs verlässliches politisches Profil verfügt, da "Vaterland" im Endeffekt nichts anderes ist als eine etwas professionellere Version der heimischen Stronachpartei), sondern stützt sich vielmehr auf einen Strauß von rechtsextremen, ultranationalistischen, holocaustleugnenden, antisemitischen und antirussischen Gruppierungen.

Rechter Lohn für Schmutzarbeit

Gerade die Besetzung des Zentrums der Hauptstadt Kiew, ohne die der Umsturz nicht möglich gewesen wäre, wurde maßgeblich von der rechtsextremen Svoboda-Bewegung organisiert und auch die Schlägertrupps "Rechter Sektor" und UNA-UNSO waren willkommene Mitstreiter des von der EU hoffnungsfroh unterstützten Bündnisses. Die Erledigung der schmutzigen Arbeit lassen sich diese Gruppen klarerweise nun belohnen, und so erhielt "Svoboda" mehrere wichtige Ämter in der neuen Staatsführung, bis hin zum Posten des Generalstaatsanwaltes und des stellvertretenden Regierungschefs.

Gesetze zum Schutz der Minderheiten sind in dieser neuen Machtkonstellation natürlich Makulatur, und somit wird Moskau die Möglichkeit gegeben, die Karte der Schutzmacht für die russischsprachige Bevölkerung zu spielen.

Fehleinschätzung Brüssels

Die Akklamation der Weißwaschung Timoschenkos als erste Tat der neuen Machthaber durch die EU zeigt deutlich die Fehleinschätzung der Lage: Selbst wenn sie die vorgezogenen Wahlen für sich entscheiden sollte, fehlt der Oligarchin nicht nur der Rückhalt der Bevölkerung, welcher klar ist, dass damit nur eine Kleptokratie eine andere ablöst, auch die extremistischen Gruppen werden sehr bald von Verbündeten zu Gegnern werden. Eine verlässliche Partnerin für Brüssel sieht anders aus. Dafür wurde mit dem gewaltgestützten Umsturz ein Präzedenzfall geschaffen, der sich in naher Zukunft noch rächen könnte: schließlich gibt es auch in zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten extremistische Gruppen und Parteien mit großem Gewaltpotential, etwa in Griechenland.

Timoschenko reist nun nach eigenen Angaben nach Moskau. Auf ihre Verhandlungen dort darf man gespannt sein: sie hat nichts in der Hand, was sie Putin anbieten könnte, was er sich nicht ohnehin nehmen könnte. Russland wird sich seinen Einfluss in der Ukraine sichern, sei es, dass Timoschenko an die Leine gelegt wird oder gleich durch eine direkte militärische Intervention, um in den russischsprachigen Gebieten eine abhängige Regierung zu installieren.

Dass dies möglich wurde, ist nicht zuletzt eine Folge der irrlichternden EU-Politik. Brüssel erhält von Moskau eine Lektion in Realpolitik. (Michael Vosatka, derStandard.at, 2.3.2014)