Die Plattform "20.000 Frauen"  ist eine führenden Adbusters in Österreich. Ihre feministisches Satire-Magazin "Möserlreich" ist voll von gespiegelten Werbebotschaften.

Foto: Möserlreich/20.000 Frauen

Vor manchen Dingen gibt es kein Entrinnen. Eine solche Sache ist ganz bestimmt die Werbung – zumindest, wenn man in einem kapitalistisch organisierten Land lebt. Mit den Problemen, die das Leben als Dauerwerbesendung aufwerfen kann, beschäftigte sich das Symposium "Discrimination sells?! – Werbeethik und Werbekritik heute". Denn, das erfuhr man bereits im einleitenden Vortrag über "Inhalte und Wirkungsweisen ethisch fragwürdiger Werbung" von Jörg Matthes, Professor für Werbeforschung am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien: Laut einer Studie von 1995 sehen wir mehr als 500 Werbenachrichten am Tag – und können davon ausgehen, dass es im Jahr 2014 noch einmal bedeutend mehr sein werden. Später am Tag wird Matthes Institutskollegin Kati Förster die Zahl noch spezifizieren. Im Workshop "über Jugendliche, tradierte Rollenbilder und neue Identitätsentwürfe" erfährt man von ihr: Bis zu 20.000 Werbungen sehen Kinder und Jugendliche von Null bis Zwölf jedes Jahr.

Das Problem an dieser Werbeflut ist ein altbekanntes: Sie geht nicht nur auf die Nerven, sie transportiert auch zunehmend verletzende und diskriminierende, realitätsfremde und/oder stereotypisierende Inhalte. Das trifft, etwa in Form rassistischer Werbung, oft Minderheiten. Fast schon gewohnheitsmäßig jedoch sind Frauen die "Opfer" solcher Werbemaßnahmen. Jörg Matthes unterscheidet zwischen Sexualisierung und Stereotypisierung und definiert ersteres unter anderem als die Darstellung von Nacktheit, sexuellem Verhalten oder Anspielungen und Doppeldeutigkeiten. In einer Studie, die er dazu präsentiert, zeigt sich beispielsweise im Bereich der Alkoholwerbung in den Jahren 1983 bis 2003 ein Anstieg dererlei sexualisierter Darstellungen von Frauen von vier auf 33 Prozent – bei Männern geht es von einem auf sieben Prozent. Der Anteil ist, so besagen die von ihm zitierten Studien, bei Frauen grundsätzlich höher als bei Männern.

Wie in den Fünfzigerjahren

Hinzu kommen noch Stereotypen: Frauen werden seltener sprechend und aktiv dargestellt als Männer, sie sind eher Verwenderinnen eines Produktes denn Expertinnen, sie sind öfter abhängig als autonom, im häuslichen Kontext zu finden und ihre Stimme taucht seltener als Voice Over auf. Bemerkenswerterweise hat diese Entwicklung laut Matthes in den westlichen Ländern nicht abgenommen. Während wir uns in der Realität also in einer zumindest halbwegs, wohl aber zunehmend gleichberechtigten Welt wähnen, scheint die Werbung uns eine Gesellschaft aus den Fünfzigerjahren vorgaukeln zu wollen. Man kann darüber spekulieren, warum das von der Werbebranche als erfolgversprechend angesehen wird.

Die Erklärungen dafür sind auf jeden Fall erstaunlich uneindeutig. In der Theorie garantiert es den Werbetreibenden erhöhte "Aktivierungs- und Aufmerksamkeitswirkung". Tatsächlich scheint diese Wirkung aber nicht einmal bestätigt – andere Thesen wollen wissen, dass derlei sexualisierte Werbung vom eigentlichen Produkt und dem Markennamen nur ablenke. In einer Studie, die 2006 in Frankreich gemacht wurde, geben zudem 55 Prozent der Befragten an, sie würden Sex als Werbeinhalt lieber nicht sehen wollen.

"Normalisierung von Softpornographie"

Trotzdem, so konstatiert Ulli Weish vom Institut für Publizistik, gäbe es eine „Normalisierung von Softpornographie in der Konsumkultur der Postpostmoderne". Statt an BürgerInnen wende die Werbung sich an KundInnen, freier Sex würde als "rhetorischer Modernismusgag" benutzt. In der "kommerziellen Fläche des öffentlichen Raumes" herrschten Utilitarismus und Behaviorismus; Medialisierung und Verdrängung ersetzten Produktions- und Konsumethik. Die Lage der kritischen Forschung, zumal der feministischen, sei prekär und marginalisiert. Es gebe eine intensive Beforschung der KundInnen, finanziert von der Privatwirtschaft und mit Ergebnissen, die entsprechend privat und geheim blieben. "Es gibt viele Studien", stellt Ulli Weish fest, "aber wenige zu Sexismen." Was die Erforschung der Arbeitsbedingungen in der Branche betreffe, der Prekarisierung und "Vernutzung" der Kreativszene oder des Modelberufs, gebe es überhaupt nur: eine Leerstelle.

So desillusionierend das klingt, so scheint sich zumindest eine kritische und protestierende Öffentlichkeit zu formieren. Kati Förster verwies auf so genanntes Mock Advertising, das diskriminierende oder stereotypisierende Anzeigen einfach lächerlich macht. So etwa die Bloggerin Jes M. Baker, die sich in typischen Posen aus der Abercrombie & Fitch-Werbung ablichten ließ – jedoch in einem Shirt, auf dem geschrieben stand: "Attractive & Fat".

Werbetreibende ohne Kontakt zur Ethik

In der Podiumsdiskussion über "Werbetrends und Werbeethik im Spannungsfeld von KonsumentInnenkritik und Selbstregulation" kamen schließlich auch VertreterInnen von Werberat und der Wiener Werbewatchgroup sowie aus der Werbebranche zu Wort. Der Werberat ist ein Instrument zur Selbstkontrolle der Werbewirtschaft und bearbeitet Beschwerden von KonsumentInnen. Auch auf der Website der Werbewatchgroup Wien haben BürgerInnen die Möglichkeit, sexistische Werbung zu melden. Michael Straberger vom Werberat attestiert seinem Gremium "die Kraft, Werbung abzusetzen" – und weil es dabei um viel Geld gehe, sei auch die entsprechende Macht groß. Traude Kogoj von der Werbewatchgroup sieht einen großen Bedarf – was im Umkehrschluss für ein großes Bewusstsein der KonsumentInnen spricht. Esther Greussing wiederum, die im Gremium der Jungen WerberätInnen sitzt, gab schließlich noch Entwarnung, was ihre eigene Generation betrifft: Die Jungen WerberätInnen entschieden deutlich sensibler und auch kritischer als ihre älteren KollegInnen – auch, was das Thema männerdiskriminierende Werbung beträfe.

Was das Symposium erwartungsgemäß nicht letztgültig lösen konnte, war die Frage danach, wie man mit diskriminierender Werbung umgeht. Michael Straberger, der neben seiner Tätigkeit im Werberat selbst in der Branche tätig ist, verwies darauf, dass Menschen, die Werbung machten ebenso wie ihre AuftraggeberInnen "mit Werbeethik nicht in Kontakt geraten." Für ihn: "Eine Katastrophe." Es sei eben das "Grundübel" der Werbung, Sachen als "besonders schön und interessant" zu verkaufen. "Das ist halt unser kapitalistisches System – was nicht heißt, dass man es nicht in Ansätzen verändern kann." Das war auch die Antwort, die Kati Förster für eine Zuhörerin hatte, die sich dringend eine andere Gesellschaft wünschte: „Wir brauchen keine neue Gesellschaft, wir sind die Gesellschaft. Und müssen anfangen, etwas zu verändern." Damit hat sie recht. Gegen diskriminierende, sexistische Werbung wird am Ende nur eines helfen: bewusste Kaufentscheidungen. Menschenverachtende Werbung darf sich einfach nicht lohnen. (Andrea Heinz, dieStandard.at, 2.3.2014)