Wien - Für den als politisch streitbar bekannten Flüchtlingshelfer Michael Genner ging die Sache vor drei Wochen ohne Prozess aus: Als die Nachricht, dass er von der Staatsanwaltschaft Wien aufgrund eines Artikels über Schlepperei wegen Gutheißung einer mit Strafe bedrohten Handlung (Paragraf 282/2 StGB) angeklagt worden war, für Aufregung zu sorgen begann, stellte die Oberstaatsanwaltschaft die Causa ein.

Die zuständige Staatsanwältin habe bei ihrer Entscheidung für die Anklage den Stellenwert des Menschenrechts auf Meinungsfreiheit nicht ausreichend berücksichtigt, lautete das zentrale Argument. In seinem Artikel hatte der Obmann des Vereins Asyl in Not die Arbeit mancher Schlepper als "sozial nützlich" bezeichnet. Im Unterschied zu "Schleppern, die Verbrecher sind" würden sie "saubere Arbeit" machen. Ihnen gebühre ein "angemessenes Honorar".

Kritik am §282 ist nicht neu

Der seit 1974 existierende Paragraf 282 ahndet die "Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlungen" (Absatz eins) und deren "Gutheißung" (Absatz zwei) mit bis zu zwei Jahren Haft. Dass seine Anwendung am Recht auf Meinungsfreiheit entlangschramme, ist als Kritik nicht neu - so selten der Passus in den vergangenen Jahren auch verwendet wurde. Das letzte Urteil gab es 2009, davor 2003.

"Politisch Andersdenkende, die ihren Ansichten mehr oder minder freien Lauf lassen, brauchen nicht durch das Strafrecht diszipliniert oder zu 'politischen Märtyrern' gemacht werden", schrieb der Strafrechtsexperte der Uni Linz, Alois Birklbauer, bereits im Jahr 2001: Der Paragraf 282 solle als ganzer gestrichen werden, forderte er. Damals, während des Zweiten Golfkriegs, standen Personen wegen Verstoßes gegen Paragraf 282 vor Gericht. Sie hatten in Zeitungsinseraten zur Totalverweigerung des Wehrdienstes aufgerufen.

"Paragraf 282 ist entbehrlich"

Im Gespräch mit dem Standard wiederholt Birklbauer seine Abschaffungsforderung auch heute: "Paragraf 282 ist entbehrlich" sagt er. Das Strafrecht sehe genügend Spezialtatbestände gegen die Verbreitung gefährlicher Inhalte vor: etwa jene gegen NS-Wiederbetätigung oder gegen Verhetzung.

Damit geht der Linzer Rechtsexperte weiter als die Nationalratsabgeordneten Alev Korun (Grüne) und Niki Scherak (Neos). In einem gemeinsamen parlamentarischen Antrag forderten sie vergangene Woche lediglich die Streichung von Paragraf 282, Absatz 2 - jener Bestimmung, laut derer Genner vor Gericht gestellt werden sollte.

Kritik von Grünen und Neos

Paragraf 282, Absatz 2 eröffne Behörden und Gerichten einen zu weiten Interpretations- und Ermessensspielraum. In Genners Fall, so Scherak und Korun, habe "bereits eine leidenschaftlich vorgebrachte Gesellschaftskritik" für die Strafandrohung wegen Gutheißung gereicht. Ihr Antrag wird dem parlamentarischen Justizausschuss zugewiesen,

Doch die Zukunft von Paragraf 282 steht auch im Justizministerium zur Disposition. Im Zuge der für 2015 geplanten Strafrechtsreform würden die sogenannten Vorbereitungsdelikte, zu denen auch Paragraf 282 gehört, besonders unter die Lupe genommen, sagt Christian Pilnacek, Leiter der Strafrechtssektion.

Der diesbezügliche Strafrechtsabschnitt umfasst auch Bestimmungen gegen Landfriedensbruch und Landzwang. Detto Paragraf 278a gegen kriminelle Organisationen, der im Tierschützerprozess angewendet und nach massiver Kritik entschärft wurde.

Paragraf 278a werde man sich "nochmals anschauen", bei den anderen Paragrafen wiederum sei fraglich, ob sie "noch passend" seien, meint Pilnacek. Im Fall Genners gibt er der Oberstaatsanwaltschaft rückwirkend recht: Mit der Verfahrenseinstellung habe diese "richtig gehandelt". (Irene Brickner, DER STANDARD, 3.3.2014)