Andrä Rupprechter, der Landwirtschaftsminister, hat zum zweiten Mal provoziert. Mit seinem religiös gefärbten Eid in der Hofburg brachte er das laizistische Österreich auf. Reaktionär sei er, war der Befund vieler. Jetzt hat er Teile der ÖVP, inklusive ihres Obmanns, verärgert - mit einer liberalen Ansage.

In seinem Standard-Interview am Samstag, das sehr schnell auch alle TV- und Radiosender aufgriffen, zeigte sich der aufrechte Tiroler, aber gleichwohl Europäer offen für Adoptionen durch eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften.

"Kein Thema" in der ÖVP

Der neue Bruch in der Volkspartei war sofort da. Michael Spindelegger ließ über seinen Parteisekretär Gernot Blümel ausrichten, so was sei in der ÖVP "kein Thema". Und die für Zucht und Ordnung zuständige Innenministerin Mikl-Leitner sprang ihm reflexartig bei. Anders die Reaktion der Steirer. Der neue Landesrat Christopher Drexler brach für den Tiroler eine Lanze: nach der Listen-Diffamierung der Ex-Ministerin Beatrix Karl freilich auch ein Schnapper nach Luft. Nach europäischer Luft immerhin.

Denn in der EU ist die Sachlage bei diesem Thema relativ klar. Elf Mitgliedsländer, alles westliche, haben das zitierte Optionsrecht bereits eingeführt. Darunter familienpolitisch eher konservative wie Spanien oder Italien - die skandinavischen Staaten haben die Regelung längst. Und Deutschland ist dabei, sie einzuführen, seit es ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtshofes (Februar 2013) gibt, wonach das Kinderwohl durch gleichgeschlechtliche Partnerschaften ungefährdet sei. Aufgemerkt, niederösterreichisch plus CV-dominierte ÖVP-Spitze!

Österreich ist in bester exöstlicher Gesellschaft

Dass Stiefkinder von Homosexuellen adoptiert werden können, hat die Regierung (in dem Fall die ÖVP) auch erst zugelassen, nachdem der Europäische Gerichtshof ein dementsprechendes Urteil gefällt hatte. Österreich ist damit in bester exöstlicher Gesellschaft, jedes der ehemals kommunistischen EU-Mitglieder hat ein antiquiertes Familienrecht.

Österreich als ein Mitglied der westlichen Gesellschaft einzustufen entspricht also nur teilweise der Realität. Wirtschaftlich stimmt der Befund zweifellos. Familienpolitisch (und gemessen an den Verfilzungen auch gesellschaftspolitisch) sind Fragezeichen anzubringen.

Andrä Rupprechters Familienbild ist offenbar nicht von überholten Dogmen getragen, sondern vom Bemühen um ein kinderfreundliches Klima in der "Zelle" unserer Gesellschaft. Das ist nicht nur ein vernünftiger Ansatz, sondern auch ein wertvoller.

Die Brüche in der ÖVP werden tiefer

In der ÖVP gibt es mittlerweile einen veritablen "Röstigraben". Damit ist in der Schweiz eine Art Demarkationslinie zwischen dem deutschsprachigen und dem französisch kulturisierten Teil gemeint - Wahlverhalten und Wertgebäude sind da und dort sehr verschieden.

Die Brüche in der ÖVP ereignen sich immer öfter, werden tiefer. Ihre (gewählte) Spitze steht unabweislisch vor der Frage, welche Partei sie will - eine stockkonservative oder eine aufgeschlossene, vorwärts denkende Kraft. (GERFRIED SPERL, DER STANDARD, 3.3.2014)