Frühe Kindheitserinnerungen verbindet Refat Tschubarow mit der Krim nicht. Der 57-Jährige wurde im usbekischen Samarkand mit seinen staubig-heißen Sommern und kalten Wintern geboren. Seine Eltern waren schon 1944 - wie insgesamt 190.000 Krimtataren - in Güterwaggons nach Zentralasien verfrachtet worden; Josef Stalin verdächtigte das seit Jahrhunderten auf der Halbinsel wohnende Volk der Kollaboration mit der deutschen Wehrmacht. Den stark schwankenden Schätzungen nach überlebten 20 bis 45 Prozent der Vertriebenen den Transport nicht.

Tschubarows Eltern hatten Glück: 1968 konnten sie zurückkehren, und so lernte der junge Refat schon mit elf Jahren das mediterrane Klima auf der Krim kennen und schätzen. Die meisten der Krimtataren konnten erst zum Ende der Sowjetzeit in ihre historische Heimat zurückkehren. Doch auch wenn sie nach Tschubarows Schätzung inzwischen 14 Prozent der Bevölkerung auf der Halbinsel stellen, sehen sie sich noch immer benachteiligt, ohne eigene Schulen und Sprache.

"Wir sind immer davon ausgegangen, dass der Eintritt der Ukraine in die europäische Gesellschaft uns auch hier die Standards der Menschen- und Völkerrechte bringen kann, die in vielen Ländern Europas verwirklicht wurden", sagt Tschubarow. Die Orientierung der Krimtataren am Westen sei somit bewusst, fügt der Präsident des Kongresses der Krimtataren hinzu.

Als Präsident Wiktor Janukowitsch Ende 2013 kurz vor der Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU einen Rückzieher machte, gehörten daher die Krimtataren zu den aktivsten Kräften in der Opposition. Auch im jetzigen Machtkampf zwischen Kiew und Moskau sind sie klar auf der Seite der ukrainischen Führung.

Seit es in der vergangenen Woche zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen Krimtataren und ethnischen Russen auf der Krim kam, ruft Tschubarow zur Mäßigung auf: "Es ist sehr wichtig, dass die Menschen in dieser Situation so gut wie möglich zusammenhalten", sagt der dreifache Familienvater.

Die Krise dürfe ausschließlich mit diplomatischen Mitteln gelöst werden, warnt er vor einer russischen Intervention. Ein neuer Krimkrieg müsse vermieden werden. Und so versucht sich der gelernte Historiker dieser Tage als Gesandter, um den Westen und die Türkei auf eine einheitliche Position in der Frage zu verpflichten. (André Ballin/DER STANDARD, 3.3.2014)