Boris Johnson, der Londoner Bürgermeister, dem zumindest in Wortwahl und Selbstdarstellung durchaus ein Hang zur Radikalität unterstellt werden kann, will radikalen Muslimen die Kinder wegnehmen. Man müsse, schrieb Johnson in seiner Kolumne im "Daily Telegraph", in diesen Fällen vorgehen wie bei Kindesmissbrauch – wenn die Kinder gefährdet seien, mit Ideen von Mord und Terror infiziert zu werden, müssten sie in staatliche Obhut oder in die Obhut von Pflegeeltern kommen.

Mit dieser Idee, so lanciert und so präsentiert wie beschrieben, wird der Konservative Johnson nur eines erreichen: dass er wieder einmal eine Zeitlang die Schlagzeilen dominiert. Den Kindern, denen er helfen zu wollen vorgibt, nützt er mit derart populistischen Aussagen nicht. Im Gegenteil: Vorbehalte und Skepsis gegenüber Muslimen im Allgemeinen werden auf diese Weise nur gefüttert. Durchdacht ist der Vorschlag auch nicht, denn wo und wie legt man den Radikalitätsraster an? Nur bei Muslimen? Bei jeder Form von religiösem Eifertum? Zählen radikale Ernährungsformen auch dazu - immerhin könnte jemand daherkommen und argumentieren, bei strikt veganer Ernährung könnten Entwicklung und Wohl von Kleinkindern auch gefährdet sein?

Auch in Großbritannien prüfen Behörden den Einzelfall, bevor sie Eltern die Kinder entziehen. Jugendbehörden haben immer das Recht einzuschreiten, wenn Kindeswohl in Gefahr ist. Es wäre zu überlegen, ob die Jugendämter auch personell und finanziell in der Lage sind, dieser Aufgabe auch mit genügend Sorgfalt nachzugehen. Es wäre Johnsons Pflicht, sich genau darum zu kümmern: Personal, Geld, Qualitätssicherung in der Jugendwohlfahrt. Und er könnte darüber hinaus sicherstellen, dass London genügend leistbare (gratis?) kommunale Kinderbetreuungseinrichtungen auch schon für Kleinstkinder hat, damit die Gefahr gar nicht erst riesig wird, dass sich Familien selbst isolieren. Ferner müsste er längst das Problem der unleistbaren Mieten anpacken, um Ghettobildung und Verslumungstendenzen zu bekämpfen.

Klingt nach einer Lebensaufgabe für einen engagierten Kommunalpolitiker. Da ist es schon einfacher, in einer flott geschriebenen Kolumne auf Muslime loszugehen. (Petra Stuiber, derStandard.at, 3.3.2014)