
Menal Huseynihi (2. von rechts) hat das Frauenzentrum Kolishina gegründet. Sie ist überzeugt: "Wenn die Islamisten an die Macht kämen, wäre das für uns alle eine Katastrophe."
In Amude, einer kurdischen Kleinstadt mit etwa 48.000 EinwohnerInnen direkt an der türkischen Grenze, gab es schon vor dem syrischen Bürgerkrieg nur wenige Möglichkeiten für Frauen, zu arbeiten und sich weiterzubilden, geschweige denn selbstständig zu leben und ein eigenes Einkommen zu haben.
In der kurdischen Gesellschaft war der Platz der Frauen bisher immer zu Hause in der Küche. Die soziale Benachteiligung der kurdischen Gebiete und die Abgeschiedenheit von den Bildungseinrichtungen in den großen syrischen Städten trugen dazu bei, dass Frauen oft nur in ihrer Rolle als Hausfrauen und Mütter einen gewissen Status erreichen konnten. Damit sind Frauen abhängig von Ehemännern, Brüdern und Vätern und haben selten die Chance, sich aus schwierigen Familienkonstellationen zu lösen. Bei familiären Konflikten gibt es keine parteiunabhängigen Institutionen, die Frauen unterstützen würden.
Lyrik im Frauenraum
Mit dem vor einigen Monaten gegründeten Frauenzentrum "Kolishina" haben sich die Frauen von Amude allerdings nun inmitten des Bürgerkriegs ihren eigenen Freiraum geschaffen. Die Initiatorinnen haben sich 2012 im Zuge der Proteste gegen das syrische Regime gefunden. Sie gründeten einen Frauenverein, der vor allem parteienunabhängig sein sollte und neben humanitärer Hilfe auch Halt und Bildung für Frauen vermitteln sollte.
Zeynab Hoja ist eine regelmäßige Besucherin des Frauenzentrums. Sie studierte Französisch und unterrichtet nun an der Mittelschule. Ihren Traum vom Arabischstudium in Damaskus verhinderte ihre Familie aus Angst, sie würde in der Großstadt Kontakt zu fremden Männern knüpfen. Ihrer Leidenschaft, Lyrik zu schreiben und auch vorzutragen, kann sie nur im Frauenzentrum nachkommen: "Mein Sohn leidet an Autismus, meine Familie kontrolliert mein Leben. Mitten im Krieg hab ich nun dieses Frauenzentrum gefunden, ein Stück Freiheit in einer Gesellschaft, die uns alles vorgeben möchte, ein Stück Ruhe."
Workshops im Kriegsgebiet
Durch den Terror der jihadistischen Milizen und der Regierungstruppen sind nun zusätzlich tausende Familien und alleinstehende Frauen als intern Vertriebene nach Amude gekommen, die notdürftig bei Familien oder in leeren Schulgebäuden untergebracht wurden. Kolishina bietet nun mit der Unterstützung von Spendengeldern aus Österreich auch speziell für diese Frauen eine Anlaufstelle.
Inmitten der dramatischen Kriegs- und Versorgungssituation versucht der Verein, Frauen Zugang zu Bildung zu ermöglichen und sie handwerkliche und andere Fähigkeiten, die für die Ausübung eines Berufs nötig oder sinnvoll sind, in Form von Workshops zu lehren. Auch im Bürgerkrieg muss das Leben jener, die nicht ins sichere Ausland flüchten oder sich den kämpfenden Truppen anschließen, irgendwie weitergehen. So unterstützt der Verein Frauen bei der Arbeitssuche, motiviert und stärkt sie. Der Kampf für Geschlechtergerechtigkeit wird von den Frauen nicht auf "nach dem Krieg" verschoben, sondern durch Diskussionsrunden und Seminare im Verein thematisiert und forciert.
Die Gesundheit von Frauen zu stärken und Wissen über den eigenen Körper zu vermitteln, sind weitere Schwerpunkte auf der Agenda des Vereins. So wurden im vergangenen Jahr Workshops zu medizinischen, sozialen, kulturellen und politischen Themen durchgeführt, die ganz überwiegend von Frauen selbst abgehalten wurden. Frauen wurden zu Krankenschwestern und Friseurinnen ausgebildet. Ein spezieller Fokus lag zudem auf der Unterstützung von Frauen mit Kindern, die besonders unter den Folgen des Bürgerkriegs in Syrien leiden.
Nuhat Gelo ist 48 Jahre alt und Hausfrau. Als sie im Zuge der Auseinandersetzungen mit dem Regime 2004 von der Geheimpolizei einige Tage verhaftet wurde, erblindete sie kurzfristig. "Wir Frauen müssen zusammenhalten. Hier bei Kolishina hab ich einen Platz gefunden, um Freundinnen zu treffen, um uns auszutauschen. Ich besuche jeden Kurs, auch wenn ich nicht lesen und schreiben kann."
Zunehmend autoritäre PYD
Die Kurse finden unter außerordentlich schwierigen Bedingungen statt. Die zunehmenden und teilweise eskalierenden innerkurdischen Spannungen zwischen den kurdischen Parteien machen die Situation in der Stadt nicht leichter. Für von der PKK-Schwesterpartei PYD unabhängige Gruppen und Initiativen hat sich in der zweiten Hälfte des Jahres 2013 der Spielraum wieder verkleinert. Aus dem revolutionären Aufbruch ist ein Bürgerkrieg geworden, der auch seine Spuren im Sicherheitsdenken der lokalen Herrscher hinterlassen hat. Während die PYD gerade in Bezug auf Frauenrechte eine Vorreiterrolle einnimmt, werden zugleich Initiativen, die nicht im unmittelbaren Umfeld der Partei verankert sind, mit äußerster Skepsis beobachtet. In der Kriegslogik ist auch hier jeder suspekt, der sich der PYD nicht unterordnet.
Gerade für den Aufbau demokratischer Strukturen sind jedoch überparteiliche und unabhängige Initiativen wie Kolishina von enormer Bedeutung. Menal Huseyni, die Leiterin und Mitbegründerin von Kolishina, sieht für eine Demokratisierung von Rojava nur dann eine Chance, wenn das Assad-Regime fällt. "Wir fordern einen föderalistischen Staat, weil dieser die beste Lösung für die Kurdenfrage ist. Außerdem verlangen wir Frauenrechte, die in der Verfassung verankert sind. Wenn die Islamisten an die Macht kämen, wäre das für uns alle eine Katastrophe."
Gegen die jihadistischen Gruppen, die die Autonomie Syrisch-Kurdistans bedrohen, sind derzeit aber nur die Gewehre der von der PYD aufgebauten Volksverteidigungseinheiten YPG gerichtet. Dass es unabhängige Fraueninitiativen wie Kolishina trotz des Drucks von mehreren Seiten weiterhin gibt, zeigt jedoch, dass der demokratische Aufbruch in Syrien noch nicht völlig im Kriegsgetöse untergegangen ist. (Mary Kreutzer, dieStandard.at, 4.3.2014)