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Archivbild I: Pompöse Eröffnung der Olympischen Sommerspiele im Moskauer Lenin-Zentralstadion am 19. Juli 1980. Die USA riefen ihre Verbündeten zum Boykott auf.

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Archivbild II: Ein Porträt des KPdSU-Chefs Leonid Breschnew überschattet das Symbol der Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau.

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Archivbild III: Eröffnungszeremonie der Olympischen Sommerspiele in Los Angeles am 28. Juli 1984. Diesmal propagierte die Sowjetunion einen Boykott.

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"Ein Regime, das sich stützt auf Zwangsarbeit und Massenversklavung; ein Regime, das den Krieg vorbereitet und nur durch verlogene Propaganda existiert, wie soll ein solches Regime den friedlichen Sport und freiheitlichen Sportler respektieren?", fragte der Schriftsteller Heinrich Mann im Juni 1936. Ein Boykott der Olympischen Sommerspiele in der Hauptstadt NS-Deutschlands blieb trotz internationaler Debatten aus - ein großer Propagandaerfolg für die Nationalsozialisten.

Berlin 1936 war wohl das deutlichste, aber keineswegs einzige Symptom einer Entwicklung, die sich durch das gesamte 20. Jahrhundert zog: Seit Einführung der Olympischen Spiele der Neuzeit 1894 erlebte der Sport eine nie dagewesene Internationalisierung - und zugleich politische Instrumentalisierung. Ab den 1950er-Jahren wurden Sportgroßereignisse zunehmend zur Projektionsfläche der Systemkonkurrenz zwischen Ost und West, Wettkampferfolge zur Manifestation der Überlegenheit des jeweiligen politischen Blocks, Medaillenspiegel zum Kursindex einer propagandistischen Währung. "In den 1960er-Jahren nimmt diese extreme Konkurrenz zwischen den Blöcken auf dem Spielfeld volle Fahrt auf", sagt der Historiker Maximilian Graf von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Am 7. März veranstalten Akademie und Uni Wien einen gemeinsamen Workshop zum Thema (Strohgasse 45, 1030 Wien).

Die Schubwirkung für den Leistungssport war enorm: Investitionen in Sportwissenschaft, Technik und Sportmedizin stiegen massiv an. Die Maßnahmen reichten von revolutionärer Nachwuchsförderung über innovative Materialforschung bis hin zu staatlich organisiertem Doping. "Wir wissen, dass die sozialistischen Staaten flächendeckend und organisiert gedopt haben", sagt Graf, der aktuell zum Skisport in der DDR und zu ihrem Verhältnis zur konkurrierenden Skination Österreich forscht. Die Quellenlage für die DDR ist sehr viel besser als jene für den Westen: Partei- und Geheimdienstakten zeichnen ein umfassendes Bild der staatlich orchestrierten Sportorganisation. Die Dopinggeschichte der westlichen Verbände ist hingegen weitgehend unerforscht. Auch in Österreich hält man sich bedeckt.

Primat des Erfolgs

Fabelrekorde der DDR sind nur vor diesem Hintergrund zu begreifen. Immerhin stellte die 17 Millionen Einwohner zählende Volksrepublik regelmäßig alle großen Sportnationen in den Schatten. Die Prioritäten der Sportförderung waren klar abgesteckt: Es herrschte das Primat "medaillenintensiver" Sportarten - etwa Langlaufen und Bobsport im Winter, Leichtathletik im Sommer. In der DDR führte die gezielte staatliche Förderung gar so weit, dass für Sportarten wie Fußball meist nur körperlich sehr kleine Spieler übrig blieben - größer gewachsene Sportler wurden schon im Jugendalter in andere Sportarten eingegliedert.

Während in den 1970ern das Wettrüsten zwischen der UdSSR und den USA zunächst an Dynamik verlor, wurde der ideologische Konflikt in der Sportarena unvermindert fortgeführt: Absagedrohungen, Boykotte und Terroranschläge führten die völkerverbindende Grundphilosophie der olympischen Bewegung ad absurdum. Mit dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan im Dezember 1979 begann die aus sporthistorischer Sicht heißeste Phase des Kalten Krieges, sagt die Historikerin Agnes Meisinger von der Uni Wien. Ein Dreivierteljahr zuvor hatte sich die kommunistische Volkspartei in Kabul an die Macht geputscht, stieß allerdings auf breiten Widerstand der afghanischen Bevölkerung. 

Die UdSSR begründete ihre militärische Intervention offiziell mit der Islamisierungsgefahr entlang der gemeinsamen Grenze. Vor allem ging es aber um Einfluss im Mittleren Osten. Als Reaktion stellte US-Präsident Jimmy Carter ein Ultimatum: Rückzug aus Afghanistan oder US-Boykott der Sommerspiele in Moskau 1980. Da das IOC, wie schon in der Vergangenheit, jeden politischen Eingriff ablehnte, scheiterte ein Boykott auf sportpolitischer Ebene. Die USA setzten auf die Solidarität verbündeter Nationen. Erklärtes Ziel: mindestens 100 Staaten von der Teilnahme abzubringen.

Boykott und Gegenboykott

Letztlich blieben 65 Nationen den Spielen fern, allerdings nicht alle aus politischen Gründen. Vor allem die europäischen Reaktionen enttäuschten in Washington: Lediglich Albanien, Liechtenstein, Monaco, Norwegen und die BRD schlossen sich dem Boykott an. "In Österreich hat Kreisky starken Druck ausgeübt, an den Spielen teilzunehmen", sagt Meisinger. Vor allem energie- und wirtschaftspolitische Überlegungen dürften ausschlaggebend gewesen sein, unter Verweis auf die Neutralität eine Mannschaft nach Moskau zu entsenden. "Letztlich ging es eigentlich um die gleichen Punkte, die aktuell zu Sotschi diskutiert wurden", sagt Meisinger. "Ich glaube, dass sich die damalige österreichische Haltung gegenüber der UdSSR nicht sehr von der heutigen gegenüber Russland unterscheidet."

Die politische Wirkung des Boykotts von 1980, der größten derartigen Aktion in der Sportgeschichte, blieb insgesamt gering. 1984 folgte die logische Retourkutsche der UdSSR: 14 sozialistische Staaten verweigerten ihre Teilnahme an den Sommerspielen in Los Angeles. Nicht jedoch Rumänien, das sich bereits 1968 demonstrativ von der Sowjetunion losgesagt hatte. Zumindest hinsichtlich der Olympischen Spiele mit Erfolg: Die sozialistische Republik stand auf dem Medaillenspiegel mit 20 Goldenen hinter den USA auf Platz zwei. (David Rennert, DER STANDARD, 5.3.2014)