"Im Ukraine-Konflikt ist es Zeit für Diplomatie", sagt Deka-Ökonom Ulrich Kater.

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STANDARD: Das Inflationsrisiko ist aus dem Markt, von Deflation wird jetzt immer öfter gesprochen. Heute tagt die EZB, was erwarten Sie?

Kater: Die letzten Inflationsraten waren schwächer als erwartet mit unter einem Prozent. Das ist eine Zone, wo die Notenbank nervös wird, weil Deflation vermieden werden muss. Der Inflationsrückgang ist der Konjunkturschwäche aus dem letzten Jahr geschuldet, weil die Preise nachhängen. Die Konjunktur hat sich verbessert, also müssten die Preise nun auch wieder an Fahrt gewinnen. Wichtig wird der Ausblick der EZB sein.

STANDARD: Ab welchem Inflationsniveau muss gehandelt werden?

Kater: Es gibt zwei Indikatoren. Die aktuelle Inflationsrate, da reicht es aber nicht, wenn ein Wert mal unter null ist - das müsste für viele Monate so sein. Der andere Indikator ist die Inflationserwartung. Derzeit liegt diese deutlich über einem Prozent. Wenn sich für beides ein Trend unter die Nulllinie abzeichnet, muss die EZB energisch handeln.

STANDARD: Was kann die EZB tun?

Kater: Mit der Deflationsbekämpfung hat man kaum Erfahrung. Es ist aber ratsam, schnell und energisch zu agieren. Zinssenkungen sind am Geldmarkt kaum mehr möglich, wohl aber am Kapitalmarkt. Das erreicht man dadurch, dass man private und öffentliche Schuldtitel ankauft. Also eine quantitative Lockerung. Die Amerikaner haben das vorgezeigt und gute Erfahrungen damit gemacht. Aber so weit ist es noch nicht und wir rechnen eher nicht damit.

STANDARD: Die Zinsen sind tief, das Sparen von Geld wird bestraft. Wie kann man sich der finanziellen Repression entziehen?

Kater: Traditionelle Sparformen werfen keine Zinsen mehr ab. Es funktioniert nicht mehr, sich eine Immobilie zu ersparen. Wer auf eine Anschaffung, etwa ein Auto, spart, kommt aus dem Niedrigzinsumfeld nicht heraus. Bei längeren Zeiträumen oder Erhalt von Vermögen gibt es nur wenige Anlagen, die höhere Zinsen abwerfen als die Inflation, etwa Wertpapiere wie Unternehmensanleihen oder -beteiligungen. Da muss man aber langfristig denken, denn diese Werte schwanken und es braucht vielleicht einige Jahre, um am Aufwärtstrend teilzuhaben.

STANDARD: Ordentlich geschwankt haben zum Jahresbeginn die Emerging Markets. Wie geht das weiter?

Kater: Es wird verstärkt getrennt in gute und schlechte Länder.

STANDARD: Wer sind die Guten?

Kater: Die, die eine nicht allzu große staatliche Verschuldung haben, eine halbwegs ausgeglichene Leistungsbilanz, ein funktionierendes Finanzsystem, eine nicht zu hohe Kreditvergabe und politische Stabilität. Je mehr Korruptionsbekämpfung dazu kommt, umso besser. Derzeit gefallen uns Südkorea, Mexiko, Chile und Polen.

STANDARD: Wie schätzen Sie die Türkei ein? Die Regierung steckt im Korruptionsskandal, die Bevölkerung ist hoch verschuldet, einige Bereiche wurden bereits für Konsumkredite gesperrt.

Kater: Das ist die richtige Richtung. Die Türkei leidet unter zu starker Verschuldung. Das drückt sich im Anstieg der Privatkredite aus und in der Außenhandelsbilanz, die defizitär ist. Problematisch ist auch die Intransparenz des Politiksystems, das schafft keine Planungsstabilität.

STANDARD: Wie geht es Europa? Irland verlässt den Rettungsschirm, Spanien wird für Reformen gelobt, um Griechenland ist es ruhig geworden. Wie viel Krise gibt es noch

Kater: Es ist gelungen, die Krise einzudämmen. Die Währungsunion wurde repariert. Mit ESM und Bankenunion wurden neue Institutionen gegründet. Die EZB unterstützt maßgeblich. Die Probleme sind aber nicht weg, sie wurden nationalisiert. Die Arbeitslosigkeit wird noch für Jahre Thema sein und kann zu europäischen Standortprogrammen führen.

STANDARD: Wie beurteilen Sie die Lage in der Ukraine und Russland?

Kater: Ich glaube, wir bekommen ein neues regionales Konfliktfeld. Den Lauf der Weltkonjunktur wird das nicht durcheinanderbringen. Die Achillesfersen Europas sind das Finanzsystem und die Energieversorgung. Noch sind wir in der Phase des Säbelrasselns, es wird Zeit für Diplomatie. (Bettina Pfluger, DER STANDARD, 6.3.2014)