Es ist das erste volle Jahr an der Macht, das für die fünfte Führergeneration in Peking nun zu Ende geht. Von den tiefgreifenden Reformen, die Staats- und Parteichef Xi Jinping und sein Premier Li Keqiang angekündigt haben, ist aufs Erste noch wenig zu sehen. Stattdessen scheint der Volkskongress jenen Verlauf zu nehmen, der seit jeher der gleiche ist: Die elendslange Liste der Probleme Chinas wird vorgetragen, Delegierte dösen, inländische Medien loben die Weitsicht der Parteikader, und ausländische Beobachter stürzen sich mangels anderer konkreter Nachrichten auf den Wehretat der Volksrepublik - Stichwort: "gelbe Gefahr".

In der Tat rüstet China seit Jahr und Tag substanziell auf. 2011 betrug die Steigerung 12,7 Prozent, 2012 waren es 11,2, 2013 nur 10,7, und heuer werden es 12,2 Prozent sein. Die Nachbarstaaten um die Konfliktzonen im Süd- und Ostchinesischen Meer haben allen Grund, sich vor der Volksbefreiungsarmee zu fürchten; die USA Anlass, zumindest Respekt zu haben. Auch deshalb, weil die politische Rhetorik in Peking scharfkantiger wird.

Das diplomatisch-militärische Powerplay hat neben wachsendem Selbstbewusstsein aber ebenso gewichtige innenpolitische Gründe: Xi und Li, sagen Analysten, versuchten mit schneidigen außenpolitischen Ansagen ihre Machtposition in der fragmentierten Führung des Landes zu stärken - auch gegenüber der Armee, die auch in China einen Staat im Staate darstellt. Überdies verringere der Fokus auf auswärtige Angelegenheiten die Brennschärfe auf innere Herausforderungen, denen viel schwieriger beizukommen ist als noch zu Deng Xiaopings Zeiten.

Die seit den 1980er-Jahren dramatisch gestiegene Pluralisierung der chinesischen Gesellschaft, Wirtschaft und Bürokratie erschwere das Herrschen in Peking deutlich, schreibt David Lampton, Professor für Chinastudien an der Johns-Hopkins-Universität, in der Februar-Ausgabe des Foreign Affairs-Magazins. Peking versuche deshalb "Konflikte zwischen gegenläufigen Interessen aufzulösen statt zu zerschlagen". Dementsprechend langsam werden neuerdings drängende Probleme bewältigt.

China hat weiterhin grobe Schwierigkeiten, sein Wirtschaftsmodell umzustellen. Lange reichte es aus, um für Beschäftigung der Massen im Land zu sorgen. Heute müssen Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit steigen, höhere Qualität und mehr Know-how her - es genügt nicht mehr, die Werkbank der Welt zu sein. Gleichzeitig ist es der Führung bisher nicht gelungen, die Umweltzerstörung (der Li nun nicht zufällig in militärischer Rhetorik "den Krieg erklärt") in den Griff zu bekommen. Die geplanten 7,5 Prozent Wirtschaftswachstum jedenfalls reichen laut Forschern weder aus, um die Umweltkosten ökonomisch auszugleichen, noch um genügend Jobs für nachrückende Arbeitskräfte - insbesondere für potenziell rebellische Akademiker - zu schaffen. Genauso wenig ist es bisher gelungen, die ethnischen Spannungen in dem Vielvölkerstaat nachhaltig zu entschärfen oder Druck aus der chinesischen Finanzmarktblase zu lassen.

Natürlich, die Führung hat bis 2020 Zeit, um Reformen tatsächlich auch umzusetzen. Aber fest steht schon jetzt, dass China (und die Welt) sich keine "verlorene Dekade" wie unter Xis Vorgänger Hu Jintao mehr leisten kann. Deshalb müsste auch das Ausland Xi und Li im eben angebrochenen chinesischen Jahr des ruhelosen Pferdes alles Glück der Welt wünschen. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 6.3.2014)