Spielen Sie "Hearthstone"?

Foto: Blizzard
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Blizzards Sammelkartenspiel "Hearthstone" ist seit einigen Wochen in Open Beta; als Free2Play-Spiel ist es zwar kostenlos zu spielen, Geld kann man aber trotzdem ausgeben. Gezwungen wird man dazu nicht - wohl aber dazu verführt. Denn "Hearthstone" ist eine Verkaufsplattform mit Kaufanreizsystem in Spielform.

Während "Diablo 3" ein Hybrid war - ein Vollpreisspiel, das dank Echtgeldauktionshaus und Item-Grind als Endgame im Spieldesign seltsam verkrüppelt verblieb -, ist "Hearthstone" als reiner Free2Play-Titel in gewisser Weise ein offenes Produkt, ehrlich, geradlinig. Dabei erübrigt sich die Frage nach der Moral: Natürlich ist Free2Play ein völlig legitimes Konzept, natürlich kann Blizzard, das hier wie wenige andere alles richtig macht, dieses Monetisierungsmodell selbst nicht vorgeworfen werden.

Verführung statt Zwang

Denn Blizzard will Geld verdienen, auch wenn "Hearthstone" kostenlos spielbar ist. Warum auch nicht? Es ist ein Hochglanzprodukt, das Spaß macht, leidlich originell ist und mit einem Ausmaß an Polish daherkommt, der anderswo fehlt. Es ist Geld wert. Der Reiz, sich in seinen ineinander verzahnten Systemen zu verlieren, vom Crafting übers Sammeln über die Arena bis zum Tüfteln am perfekten Deck, soll aber seine Spieler nicht nur, wie in "World of Warcraft" mit seinem Abosystem, möglichst lange an das Spiel binden, sondern sie vor allem dazu animieren, tatsächlich Geld auszugeben. Daran ist an sich nichts Verwerfliches.

Denn wie erwähnt: "Hearthstone" zwingt nicht, es verführt. Dementsprechend zelebriert Blizzard den Moment direkt nach dem Geldausgeben, wenn die Spieler die "Geschenke" auspacken. "Open Pack", so heißt ein eigener Menüpunkt, und hinter ihm verbirgt sich eine intime Hinterbühne, auf der die Neuerwerbungen mit größtmöglicher Haptik auspacken und ihrer Sammlung einverleiben. Von Hand zieht man sein gerade erworbenes (oder aber im Schweiße seines Angesichts erspieltes) Kartenpack in die Mitte, ein Feuerwerk an Sound und Effekten untermalt die Enthüllung der neuen Spielmöglichkeiten. 40 Packs um ca. 50 Euro, also den Vollpreis von "Diablo 3", zu kaufen und hintereinander auszupacken, ist ein Erlebnis, das man auch auf YouTube schon bewundern kann. 

Video: Opening 40 "Heartstone" Packs 

Blizzards Psychologen, die hier am Werk waren, waren ihr Geld wert. Natürlich ist auch "Hearthstone" wieder ein einarmiger Bandit, in den Spieler ihr Geld schieben sollen, denn natürlich setzt man sich letztlich, trotz aller Skills, die im Spiel tatsächlich gefragt sind, einem Zufallsgenerator aus, der bestimmt, ob im eben gekauften Pack die heiß begehrten Rares, Epics, Legendaries und Golds sind oder nicht. Es ist, wie schon bei "Diablo 3" und seinem (kürzlich unter dem Stichwort "Loot 2." endlich überarbeiteten) Loot-Drop-Algorithmus, ein mathematisches System, das per Münzwurf Endorphinausschüttungen generiert. Gerade häufig und selten genug, um seine Spieler zu motivieren. Um diese Enorphinausstöße wieder und wieder zu erleben, musste man bei "Diablo" immer viel Zeit investieren - bei "Hearthstone" darf man sich konsequent mit Geld von dieser Zeitinvestition freikaufen.

Fun Pain

Doch halt: Muss man denn Geld ausgeben? Die kurze Antwort: Nein - aber das Design bringt einen dazu, es zu wollen. In täglichen Quests lassen sich Goldstücke verdienen, mit denen man sich die intime Kartenpack-Stripshow auch im Spiel und durchs Spielen selbst finanzieren kann - besiege drei Gegner im Ranked-Modus für 40 Gold! -, doch auch hier ist die Imbalance zwischen Belohnung und Aufwand meisterhaft gestaltet: Pro Tag kann man sich so gemeinsam mit dem Geld für Siege mit nicht ganz unbeträchtlichem Zeitaufwand insgesamt 100 Gold erspielen - genau so viel, wie ein Pack kostet. Alternativ können Spieler "Golds" zerlegen, craften, 18 Partien oder Spiele in der Arena gewinnen. Das ist "Fun Pain" wie aus dem Lehrbuch.

Fun: Es macht Spaß, zu spielen, sein Deck zu tunen, Karten zu studieren, sich zu messen. Pain: Der Schmerz, der Spieler dazu bringen soll, zu kaufen, ist hier aber zumindest einer des Verlangens, der Sehnsucht - und nicht, wie etwa im Negativbeispiel "Dungeon Keeper", jener dumpf bohrende Schmerz der Langeweile, der mit der Erledigung stupidester Aufgaben oder endlosem Warten einhergeht. "Hearthstones" spielerische Vorderbühne, das Kartenspiel mit immer neuen Motivationen, bleibt als Spiel immer da, ob bezahlt oder nicht. Es wartet als grundsolide Belohnung neben all der Monetisierung, fast abgekoppelt von der intimen, fast versteckten Hinterbühne, auf der Geld getauscht wird, atemlos Packs aufgerissen und ganz andere, noch intensivere Endorphinschübe erlebt werden.

Oder zumindest: halb abgekoppelt. Denn wer beginnt, im Ranked-Modus  oder gegen andere als die vom Matchmaking vorgeschlagenen Gegener zu spielen, bemerkt sehr schnell, dass zwar ohne den Kauf all der Booster-Packs und Specials gespielt und gewonnen werden kann, es aber zur kompletten Auswahl an mächtigeren Spielelementen ein weiter Weg ist. Wer bezahlt, hat nicht unbedingt immer die besseren Karten - zumindest aber hat er sie früher.

Lukratives Modell

Free2Play ist, wenn es richtig gemacht wird, ein extrem lukratives Geschäftsmodell. Blizzard könnte alternativ ein Spiel zum Vollpreis verkaufen, das alle Karten zum stückweisen Freispielen enthält. Die Einstiegshürde wäre eine Investition von 50 Euro, und diese Hürde ist hoch. Free2Play lockt viel mehr Spieler an, das Gebotene macht Spaß, ist perfekt produziert - und weckt in seinen Spielern durch clevere Psychologie den Wunsch, Blizzard Geld geben zu wollen. Ist das unmoralisch? Mitnichten. Es ist nur, das ist klar, etwas anderes als das Produkt, das normalerweise beim Spielekauf erworben wird.

"Hearthstone" ist mehr als nur ein Kartenspiel, in dem kostenlos gegen Spieler aus aller Welt angetreten werden kann. Es ist mehr als nur eine Sammlung perfekt in Szene gesetzter Appelle an den Komplettierungs- und Sammeltrieb. Es ist auch mehr als nur ein extrem clever gamifiziertes Craftingsystem. "Hearthstone" ist all das, aber vor allem eins: Es ist eine Verkaufsplattform mit Kaufanreizsystem in Spielform. Wer das im Hinterkopf behält, wird auf höchstem Niveau unterhalten. (Rainer Sigl, derStandard.at, 9.3.2014)

Video: Spielübersicht zu "Hearthstone"