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25 Milliarden Wattestäbchen kommen weltweit jährlich zum Einsatz.

Das Wattestäbchen hat seinen Erfolg dem Ohrenschmalz zu verdanken. Der Amerikaner Leo Gerstenzang hat es 1925 erfunden, nachdem er seine Frau dabei beobachtete, wie diese einen Zahnstocher mit Watte umwickelte, um so die Ohren ihres Babys zu reinigen.

Warum damals wie heute Menschen das zwingende Bedürfnis haben, das Cerumen aus den Gehörgängen zu entfernen, dürfte mit einem generell zwiespältigen Verhältnis zu Körpersekreten zu tun haben. Das Wattestäbchen bringt hier eine saubere Lösung, allerdings nur von außen betrachtet.

Plötzlicher Hörverlust

Innen drinnen sieht die Sache freilich anders aus. Mit den berühmten Stäbchen wird das Cerumen in das Ohr hineingestopft, verlegt dort das Trommelfell irgendwann zur Gänze und provoziert dabei eine akute Schallleitungsstörung, die der Betroffene als plötzlichen Hörverlust wahrnimmt.

"Für HNO-Ärzte ist das Cerumen ein reines Abfallprodukt", sagt Wolfgang Gstöttner, Leiter der Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der Medizinischen Universität Wien. Eine Einstellung, die aus dem täglichen Brot der Fachärzte resultiert. In HNO-Ambulanzen und Ordinationen zählt das Cerumen obturans - dem kompletten Verschluss des äußeren Gehörgangs - nämlich zu den häufigsten Diagnosen.

Gstöttner gewinnt dem unappetitlich anmutenden Sekret aber durchaus positive Seiten ab. Dazu vorweg etwas Anatomie: Der menschliche Gehörgang bildet mit seinen etwa drei Zentimetern Länge die akustische Verbindung zur Außenwelt, indem er den Schall zum Trommelfell leitet. Das äußere Drittel besteht aus elastischem Knorpelgewebe, der innere Anteil wird aus Knochen gebildet und ist von einer dünnen Haut überzogen. Im knorpeligen Anteil des Gehörgangs finden sich Haare, Haarbalgdrüsen und circa 2000 Cerumendrüsen. Letztere sind  spezialisierte Schweißdrüsen und bilden den dünnflüssigen Teil des Ohrenschmalzes. Das ölige Sekret der Talgdrüsen vermischt sich damit und sorgt für die wachsartige Konsistenz des Cerumens.

Selbstreinigungsprozess

Im knöchernen Anteil des Gehörgangs finden sich weder Haare noch Drüsen. Die Haut über dem Knochen wird jedoch wie überall sonst auch permanent erneuert, abgestorbenen Zellen müssen abtransportiert werden, sonst wäre das Gehörgangslumen irgendwann so oder so vollkommen verstopft.

An dieser Stelle kommt das Cerumen ins Spiel. Die abgestorbenen Epithelzellen vermischen sich damit, ebenso wie Staub und andere Verunreinigungen und werden über die Haare hinweg in Richtung Ohrmuschel abtransportiert. Unterstützt wird dieser Vorgang noch durch die Kaubewegung, bei der auch der Gehörgang involviert ist.

"Der Gehörgang muss also nicht mit Wattestäbchen malträtiert werden, da das Cerumen dem Selbstreinigungsprozess dient", sagt Gstöttner.

Infektionsschutz

Nebenbei hat das Ohrenschmalz noch eine weitere wertvolle Aufgabe, die vor allem im Sommer ihre Wirkung zeigt. Sein hoher Fettgehalt schützt die Haut im äußeren Gehörgang bei längeren Aufenthalten im Wasser vor dem Aufweichen und damit vor dem Eindringen krankmachender Keime.  Auch davon wissen HNO-Ärzte ein Lied zu singen, denn die Schwimmbad-Otitis (Entzündung des äußeren Gehörgangs, Anm.Red.) ist ebenfalls ein häufiges saisonales Erkrankungsbild der täglichen Praxis.

Mit der prophylaktischen Entfernung des Ohrenschmalzes tut man sich in Hinblick auf Entzündungen noch aus einem anderen Grund nichts Gutes. "Im Cerumen sind in Spuren auch antibakterielle Substanzen enthalten. Diese schützen ebenfalls vor Bagatellinfektionen", so Gstöttner.

Trocken oder feucht

Ob das Cerumen jedes Menschen diese wichtigen Funktionen im gleichen Maße erfüllt bleibt offen, denn grundsätzlich ist Ohrenschmalz nicht gleich Ohrenschmalz. Bei Europäern und Afrikanern klebt feuchtes, gelblich-braunes Cerumen in den Ohren. Asiaten dagegen leben mit einer trockenen, weißlichen Variante.

Im Übrigen schwitzen Asiaten auch weniger, als Europäer. Der Grund findet sich in der Entwicklung der Cerumendrüsen, die genau wie die  Schweißdrüsen in den Achselhöhlen von denselben Genabschnitten beeinflusst wird.  Das haben 2006 japanische Wissenschaftler von der Universität Nagasaki herausgefunden.

Der Körpergeruch asiatischer Völker ist demzufolge weniger intensiv. Vermutlich hat die trockene Cerumenvariante einen weiteren Vorteil, denn zu einem Pfropfen verkleben kann dieses bröselige Etwas nicht. (Regina Walter, derStandard.at, 12.3.2014)