Wenn der Molkereiarbeiter Adi zu seiner Arbeitsstätte fährt, bietet er im Pendlerzug Mitreisenden ungefragt einen Löffel von seinem "Mitarbeitergratisjoghurt" an. So sehr identifiziert Adi sich mit seinen Milchprodukten. An Laktoseintoleranz oder Kuhmilchallergie sollte man auch im Theater Leipzig besser nicht leiden, denn in Ferdinand Schmalz' Am Beispiel der Butter, dem Gewinnerstück des Retzhofer Literaturpreises 2013 (der Standard berichtete), wird ein gewaltiger Berg von Butter- und Milch-, ja sogar von Schmalzmetaphern vor den Betrachtern aufgetürmt.
Im Erstlingswerk des 28-jährigen Grazers Ferdinand Schmalz ist als Bezugspunkt David Foster Wallace' Am Beispiel des Hummers deutlich zu erkennen, in dem sich Wallace mit den in einem riesigen Kessel kochenden noch lebendigen Hummern identifiziert. "Was Wallace der Hummer ist, ist Schmalz die Butter" wurde die Verleihung begründet. Der Retzhofer-Literaturpreis wird nicht für ein abgeschlossenes Werk, sondern für ein Drama verliehen, das Schmalz nun in ei-nem Jahr fertigstellen musste, dessen Entwicklungsschritte er bei Lesungen (etwas beim Hamburger Kaltstart) vorstellen und von Kollegen kommentieren lassen musste.
Träumer im Dorf
An David Foster Wallace erinnern dabei auch die Fiesen Männer: der Molkereimanager Huber (Wenzel Banneyer) und der "Exekutivbedienstete" Hans (André Willmund), denen der Butterträumer Adi (Ulrich Brandhoff) im Dorf schon lange ein Dorn im Auge ist. Sie versuchen Adi mit Buttersäure zu vergiften und vergewaltigen seine Freundin.
In der Überlagerung seines sozialen Dramas mit philosophischen Theorien stellt sich Ferdinand Schmalz durchaus in die ehrwürdige Tradition Werner Schwabs oder Ewald Palmetshofers. Giorgio Agamben und Walter Benjamin werden bei Schmalz "verarbeitet", und seinem Dorfpolizisten Hans hat er längere Zitate Carl Schmitts über den Ausnahmezustand und das Ausnahmerecht, das sich der Beamte in seinem Hobbykeller nimmt, in den Mund gelegt.
Manchmal wirkt das etwas angestrengt und konstruiert. Theatralisch ist Butter dennoch! Denn aus der unförmigen, weichen Masse müssen notwendigerweise kantige lustvolle Theaterfiguren geformt werden: der Molkereimanager, der authentische Werbung für die Milch produzieren muss oder Adis Freundin Karina (Runa Pernoda Schäfer), die ohne Hoffnung, vom Taschengeld der Eltern finanziert, beruflich von einer Butterform in die nächste stürzt.
Schnaps in rauen Mengen
Jedenfalls erdet die Inszenierung von Cilli Drexel Schmalz' Text als kräftiges Volksstück und holt viel Spiellust aus den Figuren. "Deine Heimat. Deine Milch" steht als Werbung über der Bahnhofsgaststätte (Bühne: Timo von Kriegenstein), in der es ausschließlich nur mehr Schnaps gibt, "Klaren", der wohl als Abwehrmittel gegen die viele trübe Milch und das Fett in großen Mengen konsumiert werden muss. (Bernhard Doppler aus Leipzig, DER STANDARD, 7.3.2014)