Chronik eines Zerfalls: Aufnahmen zwischen Oktober 2013 und Jänner 2014.

Foto: NASA/ESA/Jewitt

YORP-Effekt: So könnte sich der Zerfall abgespielt haben.

Illu: NASA/ESA/Jewitt

Göttingen - Astronomen haben erstmals das Auseinanderbrechen eines Asteroiden beobachtet, der vor seinem Zerfall nicht mit einem anderen Himmelskörper kollidiert war. Dem kosmischen Brocken wurde wahrscheinlich seine zunehmende Drehgeschwindigkeit zum Verhängnis, wie ein internationales Forscherteam unter Beteiligung des Max-Planck-Institust für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen aktuell im Fachblatt "The Astrophysical Journal" berichtet. 

Langgestreckte Staubschweife

Die Staubwolke, die dabei entstand, verstellte den meisten erdgebundenen Teleskopen die Sicht auf die kleineren Bruchstücke. Mit Hilfe des Weltraumteleskops Hubble und des Keck-Teleskops auf Mauna Kea in Hawaii ist es den Forschern aber gelungen, den fortschreitenden Zerfall über Monate zu dokumentieren und rückblickend zu rekonstruieren. Die Aufnahmen gelangen zwischen Anfang Oktober 2013 und Mitte Januar 2014. Sie lassen eine zunehmende Anzahl von Bruchstücken erkennen: Zum Schluss sind es mindestens zehn, von denen die größten einen Durchmesser von etwa 400 Metern haben. Bemerkenswertes Detail: Langgestreckte Staubschweife zieren die einzelnen Fragmente - wodurch P/2013 R3 beinahe wie ein Schwarm von Kometen aussieht.

Die Forscher zählen das ungewöhnliche Objekt deshalb zu den sogenannten aktiven Asteroiden, eine Art Zwitter zwischen Asteroid und Komet. Diese Körper kreisen zwar innerhalb des Asteroidengürtels um die Sonne, setzen jedoch wie Kometen Staub frei. Die Ursache für dieses Verhalten ist in den meisten Fällen unbekannt.

YORP-Effekt

Im Fall von P/2013 R3 konnten die Forscher nun im Ausschlussverfahren eine Erklärung finden. Aus ihren Aufnahmen rekonstruierten sie den genauen Hergang des Zerfalls. "Die einzelnen Bruchstücke driften mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von gerade einmal 1,5 Kilometern pro Stunde auseinander", berichtet Jessica Agarwal vom MPS. Neben dem sukzessiven Auseinanderbrechen spreche auch diese ausgesprochen niedrige Geschwindigkeit gegen eine Kollision: Denn nach Zusammenstößen bewegen sich die verbleibenden Trümmer meist mit hohen und sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten. 

Ebenfalls auszuschließen sei, dass im Innern des Asteroiden – wie von Kometen bekannt - gefrorene Gase verdampft seien und den Körper so von innen gesprengt hätten. Dafür sei es im Asteroidengürtel zu kalt. Die Daten der Forscher enthalten zudem keinerlei Hinweis auf einen nennenswerten Ausstoß von Gasen. "Die einzige mögliche Erklärung liefert der Strahlungsdruck der Sonne", so Agarwal. Da das Sonnenlicht unter verschiedenen Winkeln auf die Oberfläche des unregelmäßig geformten Körpers auftrifft, ergibt sich unterm Strich ein Drehmoment. Astronomen bezeichnen dies als YORP-Effekt. Die Rotation des Asteroiden um die eigene Achse kann so im Laufe von Millionen von Jahren immer schneller werden, bis die Fliehkraft den Körper nach und nach förmlich auseinander reißt. Kleinere Bruchstücke und Staub, der dabei freigesetzt wird, speisen die auffälligen Schweife.

Lockerer Schutthaufen

Im vergangenen Jahr hatten die Forscher bereits einen weiteren Körper entdeckt, dessen Gestalt der YORP-Effekt bestimmt: Der aktive Asteroid P/2013 P5 verlor immer wieder Material. Teleskopaufnahmen zeigen ihn gleich von mehreren ausgeprägten Staubschweifen umgeben.

"Warum der eine Körper nur eine überschaubare Menge an Staub verliert, der andere aber völlig auseinanderbricht, ist noch unklar", so Agarwal. Sehr wahrscheinlich sei, dass der innere Aufbau eine entscheidende Rolle spielt. "Seit einigen Jahren mehren sich die Hinweise, dass einige Asteroiden nicht kosmischen Felsbrocken gleichen, sondern sich eher als eine Art lockerer Schutthaufen beschreiben lassen", so die Astrophysikerin. Die neuen Ergebnisse sprechen dafür, dass dies auch auf den neu entdeckten Körper P/2013 R3 zutrifft. (APA/red, derStandard.at, 6.3.2014)