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Die Freiheit ist auch hoch über den Wolken nicht grenzenlos - schon gar nicht für das fliegende Personal. Helden und Heldinnen, die cool die Flieger durch die Lüfte steuern und von einem Traumziel zum nächsten jetten: Das spielt es eher nicht.

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"Kaufen Sie noch ein Los, bevor wir abstürzen" erscheint im riva Verlag.

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Ryanair ist vermutlich die bekannteste unter den Billig-Airlines. Wohl auch, weil ihr Chef, der Ire Micheal O'Leary, geschickt auf der Marketing-Klaviatur zu spielen weiß. Kaum eine Woche, in der die Öffentlichkeit nicht mit vollmundigen Ankündigungen, Dementis, Informationen über neue Preise, zusätzliche Gebühren für Dienstleistungen, zuletzt die Hinwendung von der Kaffeefahrtatmosphäre zu einer echten Serviceoffensive beglückt wird. Wenn es diesbezüglich ganz und gar nichts zu vermelden gibt, schneidet zumindest der Chef der in Irland sitzenden Airline auf diversen Pressebildern komische Grimassen.

Geht es nach Julia November, hat die unaufdringlich aufdringliche Präsenz einen guten Grund. Solange es sich nicht um Flugzeugabstürze handle, sei es der Name der Airline, der sich potenziellen Kunden ins Gedächtnis brennt. Werbung ist demnach garantiert, egal ob die Meldung positiven oder negativen Inhalts ist. November, ausgebildete Pilotin und 32 Jahre jung, begann ihre Karriere vor Jahren bei einer Billig-Airline. Welche das ist, bleibt ihr Geheimnis. Nur soviel gibt sie preis: Es handelt sich um die nach Unternehmensangaben beliebteste Fluggesellschaft der Welt. Ein Prädikat, das sich Ryanair laut Fachjournalisten unter Zuhilfenahme statistischer Tricks gleich selbst verlieh. Womit jetzt noch immer nicht gesagt sein soll, dass November unter der Ryanair-Flagge geflogen ist.

Mit viel Humor in der Luft

Sicher ist: November ist eine der wenigen deutschen Pilotinnen. Dass sie ihren Ex-Arbeitgeber nicht beim Namen nennt, hat einen guten Grund. In ihrem Buch "Kaufen Sie noch ein Los, bevor wir abstürzen", beschreibt sie den Arbeitsalltag als weibliche Arbeitskraft im Cockpit. In ihrem Berufsleben erlebt sie eine Welt voller überforderter Kabinenmitglieder und verrückter Passagiere, die ganz offensichtlich nur mit sehr viel Humor zu packen ist. In die Welt einer Billig-Airline, die nicht überraschend mit Low-Cost-Management möglichst großen Profit für sich selbst herausschlagen will, nimmt sie den Leser mit viel Schwung und ebenso viel Sarkasmus mit.

"Low Cost ist in etwa so schick, wie bei Aldi einzukaufen", heißt es da. Mit dieser Einschätzung hat die Deutsche vermutlich nicht unrecht. Ebensowenig, wie mit der Feststellung, dass man sich nur die Autos auf dem Parkplatz vor einer Filiale – in Österreich ist Hofer, was in Deutschland Aldi ist - anzuschauen brauche, um jeden etwaigen Zweifel zu beseitigen: Nicht nur jene, die sich den schicken Luxussupermarkt nicht leisten können, gehen dort ein- und aus. Und weil Geiz noch immer geil ist – ob notgedrungen oder freiwillig – müssen oft die Kunden, aber mit großer Wahrscheinlichkeit die Mitarbeiter die Billig-Schiene bedienender Unternehmen Abstriche machen.

Schlampige Verhältnisse

Dass etwa Kabinencrews erst nach langer Dienstzeit und auch dann nur wenn sie Glück haben, fest angestellt sind, schlägt sich positiv auf die Firmenfinanzen nieder. Mitarbeiter haben mit solchen "schlampigen" Verhältnissen naturgemäß weniger Freude. Wenn man als Crewmitglied nur dann verdient, wenn man fliegt, tut das eben mehr der Unternehmensbilanz als dem Lohnsäckel der Beschäftigten gut.

Dass sich die Crewmitglieder auch ihre Uniformen selbst bezahlen und mindestens einen Monat pro Jahr unbezahlten Urlaub zu nehmen haben, in dem sie aber nirgendwo anders arbeiten dürfen und schlimmstenfalls nicht krankenversichert sind, ist vermutlich weniger bekannt. "Aber so ist es nun einmal", sagt November im Gespräch mit derStandard.at, auch wenn das "schon Verträge sind, wo man sich fragt, wie man die überhaupt unterschreiben kann. Vermutlich sind das auch die unternehmerfreundlichsten Vertragswerke, die es in Europa gibt." Doch wer einen Job suche, könne bekanntlich nicht heikel sein. Das gilt in der Flugbranche wie anderswo auch.

Dass eine Firma kein Sozialverein ist, ist unbestritten. Unternehmen müssen beinhart kalkulieren. Besonders dann, wenn sie traditionsreichen Platzhirschen Marktanteile abknöpfen wollen. Dass man dabei mehr oder weniger zimperlich vorgehen kann, liegt allerdings auf der Hand. Zu Papier gebracht, klingen die Jagdstrategien wenig sympathisch: Neue Flugziele – so heißt es – würden nur dort errichtet, wo es wirtschaftlich gerade etwas haarig sei. "Dort werden die Verantwortlichen darum betteln, dass wir zahlungsfreudige Urlauber in die strukturschwachen Gebiete pumpen und irgendwelche Fördertöpfe anzapfen, um uns für unser Kommen bezahlen zu lassen."

So hoch sei diese finanzielle Unterstützung, dass man zu Beginn die Flugstrecken mit fast leeren Flugzeugen bediene. So gab es laut November eine Region in Sizilien, die den Tourismus mit aller Gewalt benötigte, um sich gegen die mafiösen Strukturen vor Ort zu behaupten. Für ihren damaligen Arbeitgeber rechnete es sich, das Ziel dreimal pro Woche mit einem - von einem alten Herrn als Passagier einmal abgesehen – gähnend leeren Flieger anzusteuern. Versiegen die Förderungen, werden die Flüge eingestellt – so die schreibende Pilotin.

Wenn streng gerechnet wird

Überspitzt und lustig sollte das Buch sein, sagt November relativierend. Kein Wunder: Auch wenn sie den Arbeitgeber mittlerweile gewechselt hat: Der Flugbranche blieb sie treu. Erstes mag man ihr nicht verdenken, denn das Lachen bleibt einem angesichts der aufgetischten "Anekdoten" zuweilen im Hals stecken. Sexuelle Belästigung durch männliche Kollegen im Cockpit, Cabin Crews, die bei Turbulenzen hysterisch werden, anstatt die Passagiere zu beruhigen, aggressive Gardinenpredigten, die an Truppenübungen im gefährlichen Einsatzgebiet erinnern: Dass vor allem die Mitarbeiter mancher dieser schlanken Unternehmen nicht eben auf Samt gebettet sind, liegt auf der Hand.

Der vom Personal geforderten Disziplin wurde da schon einmal mit mehr oder weniger sanftem Nachdruck zu ihrer Geltung verholfen. Krankenstand zu Weihnachten kam etwa bei Novembers Arbeitgeber zuweilen gar nicht gut an: "Wer dennoch krank wurde und mit ärztlichem Attest ausgerüstet war, musste dann trotzdem mit Drohgebärden rechnen. Die sind vorgekommen, leider." Dass das durchwegs junge Team den recht rauen Tonfall hingenommen habe, liege wohl gerade am Alter, vermutet sie: "Je länger man einen Beruf ausübt, umso souveräner wird man auch, umso mehr weiß man auch, was man kann."

Wo streng gerechnet wird, geht das auch auf Kosten des Services und der Passagiere. Was für Konsumenten Billig-Fliegen heißt, weiß mittlerweile wohl jeder aus eigener Erfahrung: Mehr oder weniger weite Märsche über mehr oder weniger große Flughäfen, mehr oder weniger lange Anreisen zum eigentlichen Ziel, Gepäckgewicht, dessen Überschreitung im Grammbereich zu Dramen beim Einchecken führt, Extra-Gebühren für jeden Pipifax, zusammengeklappte Gliedmaßen mangels Beinfreiheit. Doch immerhin, das Billig-Ticket entschädigt in der Regel für solche Kleinigkeiten. Und den Kuchen - mit einer Haltbarkeit von fünf Monaten unschlagbar dauerhaft – muss man ja nicht essen. Dass die Toiletten, nach der Zahl der durchgeschleusten Passagiere gerechnet, einen Putzfetzen oft weniger häufig sehen als vermutlich das eine oder andere öffentliche Klo, lässt sich wohl auch verschmerzen.

Ansprechpartner für alle Fälle

Dass der oft berechtigte, manchmal fehlgeleitete Kundenunmut auch schon einmal das fliegende Personal betrifft, gehört dazu: Ansprechpartner sind Piloten schon auch einmal für jene Kunden, die unter dem nicht immer zufriedenstellenden Handling am Flughafen leiden. Denn wer als Fluggast statt im kühlen Terminal verschwitzt und in einem kochend heißen Glasfinger mit über 45 Grad auf seinen Ferienflug wartet, hat Besseres zu tun, als in Kategorien von Gerechtigkeit und Recht zu denken. Mit anderen Worten: Dass ein übereifriger Flughafenmitarbeiter dafür verantwortlich ist, dass die Passagiere weit vor Ankunft der Crew vorgeboardet wurden, kümmert ihn herzlich wenig.

Sowas steckt man im Prinzip vergleichsweise locker weg, sagt November. Besser als manch Unstimmigkeiten in der Luft, auch wenn selbige aufgrund doppelter Absicherung nicht lebensbedrohlich sind. So gehört es zwar nicht zum Alltag, kommt aber vor, dass Fluglotsen und Piloten einander nicht auf Anhieb verstehen: Wenn der Erlaubnis, mit dem Sinkflug zu beginnen, sofort ein „Stopp" folgt, dann ist damit zu rechnen, dass unter dem eigenen Flugzeug gerade ein anderes durchsaust.

Das hat allerdings eher mit Pilotenalltag als mit der lässigen Billigflug-Atmosphäre des Ex-Arbeitgebers zu tun. Die ließ sie mit dem Arbeitgeberwechsel hinter sich. Den Unterschied sieht November vor allem im Umgangston mit den Mitarbeitern: "Optimiert wird überall. Die Leute können nirgendwo auf Wasser gehen. Aber man wird nicht abgespeist und doch eher freundlich behandelt oder es werden Lösungen gesucht. Wenn man ein bisschen mehr mit Respekt behandelt wird, das macht schon den kleinen Unterschied." Die Antwort, warum ihr das Fliegen nicht vergangen ist, fällt November übrigens ganz leicht: "Wenn Sie im Nebel sitzen, sehe ich die Sonne." (rebu, derStandard.at, 7.3.2014)