Die farbenprächtigen Feuerwerke zum 17. Februar, dem dritten Jahrestag des Revolutionsbeginns gegen die Gaddafi-Diktatur, vermochten nur für wenige Stunden von der beklemmenden Wirklichkeit abzulenken. Frust und Enttäuschung der Libyer über die politische Krise und die eskalierende Gewalt werden täglich deutlicher spürbar. "40 Jahre mussten die Libyer schweigen, jetzt reden alle, und niemand hört zu", fasst ein einheimischer Tourismusexperte zusammen. Er hat, wie die große Mehrheit der Bevölkerung, die Konsequenzen gezogen und sich nicht an den Wahlen für die 60-köpfige Verfassungskommission beteiligt. Damit hat der Versuch, demokratische Institutionen aufzubauen, einen weiteren Rückschlag erlitten.
Politische Polarisierung und Gewalt sind mittlerweile untrennbar miteinander verbunden. Die Wurzeln der Fehlentwicklung lassen sich bis in den Juli 2011 zurückverfolgen, als General Abdelfattah Yunis, der Militärchef der Rebellen, getötet wurde. Den Mord, für den nie jemand zur Verantwortung gezogen wurde, hat wahrscheinlich eine islamistische Miliz begangen.
Skepsis im Ausland
Seither kämpfen die verschiedenen bewaffneten Ex-Rebellengruppen um Einfluss und behindern den Aufbau einer nationalen Armee. Offiziell sind viele der unzähligen Milizen in das Innen- oder Verteidigungsministerium integriert. Tatsächlich verfolgen sie aber ihre eigenen politischen, finanziellen oder schlicht kriminellen Interessen. Aus diesem Grund sind auch die ausländischen Partner bei der Ausbildung libyscher Soldaten zurückhaltend: weil es keine Garantien gibt, in wessen Diensten dieses Know-how später landen wird.
In Tripolis gibt es eine fragile Machtbalance von Milizen aus Misrata und Zintan, die sich die Einflussgebiete aufgeteilt haben. "Die Einwohner haben es satt, dass Bewaffnete aus anderen Regionen hier ihre Zerwürfnisse austragen", drückt ein einheimischer Wirtschaftsanwalt eine weit verbreitete Meinung aus. Die Milizen sind verantwortlich für Folter, Exekutionen, Entführungen und Anschläge. Die Versuche von aufgebrachten Bürgern, sie zu verjagen, haben in Blutbädern geendet.
Es ist ein offenes Geheimnis, dass verschiedene Milizen mit politischen Kräften liiert sind. Im vergangenen Sommer haben bewaffnete Ex-Rebellen Ministerien und das Übergangsparlament besetzt, um ein strenges Gesetz zu erzwingen, das alle hohen Funktionäre der Gaddafi-Ära von politischen Ämtern ausschließt. Auch der jüngste politische Konflikt um die Verlängerung der Amtszeit des Nationalkongresses, die am 7. Februar eigentlich ausgelaufen ist, wird auf allen Seiten mit Gewalt ausgefochten.
Verwüstung im Parlament
Milizen von Zintan und ein ehemaliger General verlangten die Auflösung des Parlaments. Am vergangenen Wochenende schließlich stürmten Gegner der Amtszeitverlängerung den Parlamentssaal, nachdem Unbekannte ihr Protestlager vor dem Nationalkongress gewaltsam zerstört und Aktivisten verschleppt hatten.
Viele Libyer machen für die Eskalation der Gewalt die "Bärtigen" verantwortlich. Im Nationalkongress sind die Muslimbrüder die stärkste Gruppierung. Sie wollen trotz verbreiteten Unmuts in der Bevölkerung das ineffiziente Parlament im Amt belassen und dafür die Regierung stürzen. Insbesondere in Tripolis ist in den letzten Monaten ein verbreiteter Hass auf die Islamisten zu spüren. "Die Stimmung ist wie in Ägypten, nur dass es hier Waffen gibt", zieht eine libysche Journalistin Parallelen zum Nachbarland.
Die Machtkämpfe haben nicht nur den Aufbau einer Armee verhindert, sondern auch Extremisten Freiraum geschaffen. Solange sich die wichtigsten politischen Kräfte nicht zusammenraufen und auf eine nationale Strategie verständigen, driftet Libyen in Richtung "Failed State". Unterstützung aus dem Ausland - am Donnerstag tagte in Rom eine Konferenz der "Freunde Libyens" - kann wenig ausrichten, wenn die Libyer nicht der Lage sind, den Rahmen dafür zu schaffen. (Astrid Frefel aus Tripolis, DER STANDARD, 7.3.2014)