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Das Panier- Viertel in Marseille gehört zu den zentralsten der Stadt, galt aber lange Zeit als "Problembezirk". Heute entstehen hier überall nette Geschäfte und Cafés.

Foto: Corbis / Gianluca Santoni

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Flug von Wien nach Marseille zum Beispiel via München mit Lufthansa; alternativ mit Austrian oder Air Berlin / Niki nach Nizza und weiter mit dem Schnellzug TGV in rund zweieinhalb Stunden nach Marseille. Für die Benutzung der Öffis in der Stadt kann der "City Pass Marseille" nützlich sein, wenn man viele Fahrten plant. Es gibt ihn für 24, 48 oder 72 Stunden, und er inkludiert auch den Schiffsverkehr zum sehenswerten Château d'If sowie den kostenlosen Eintritt in viele Museen. Die Verkehrsbetriebe der Stadt bieten auch eine kostenlose App an, die vor allem hilfreich ist, wenn man viel mit Bussen unterwegs ist. Info: www.rtm.fr

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Zu den lohnenden Unterkünften in Marseille zählen unter anderen: das Boutiquehotel Au Vieux Panier: Jedes Zimmer ist einzigartig und wurde von einem Künstler gestaltet; gut gelegen; im Panier-Viertel, in der Rue du Panier 13, Doppelzimmer pro Person ab 99 Euro, inklusive Frühstück; typisch für die Stadt und sehr sympathisch: die Casa Ortega mit südamerikanischem Flair im arabischen Viertel des ersten Bezirks, fünf Minuten zu Fuß vom Bahnhof, in der Rue des Petites Maries 46, Doppelzimmer pro Person ab 43 Euro; weitere Unterkünfte und touristische Infos unter: www.marseille-tourisme.com

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Die ersten sogenannten Greeter boten ihre Dienste in Marseille erstmals anlässlich der Europäischen Kulturhauptstadt 2013 an – auch um mit den Klischees vom Moloch am Mittelmeer zu brechen. Lohnend in Marseille sind zum Beispiel Spaziergänge zu den Themen Streetart, Fußball, kleine Bars und Ausflüge zur Küste oder ins Hinterland, die Povence.

Infos: www. marseilleprovencegreeters.com. Greeter gibt es mittlerweile in 22 französischen Städten oder Regionen, das Land gehört zu den aktivsten innerhalb des globalen Netzwerks. Eine Gesamtübersicht über alle Destinationen findet man unter: www.globalgreeternetwork.info

Es ist keine Stadt, die einen auf Anhieb willkommen heißt. Keine, die sofort eine Wärme ausstrahlt, kaum dass man zwischen ihren Häuserschluchten unterwegs ist. Keine, die einen anlacht, umarmt und die man ab sofort selbst nicht mehr loslassen will. Mediterran ist sie nur am alten Hafen, französisch überall ein bisschen.

Marseille ist herb, wirkt abweisend - wohl dadurch, dass diese Stadt so unentschlossen scheint: mit zwar prachtvollen Fassaden wie an den Champs-Élysées in Paris, von denen aber mancher noch immer frische Farbe fehlt; mit Märkten zwischen jenen nackten Prachtbauten, deren Waren auf dem Trottoir oder der Straße ausgebreitet sind: Gemüse auf Plastikplanen, Kleidung in Folie direkt aus Kartonschachteln. Marseille fehlt jede Lieblichkeit, Marseille ist geschäftig, laut, temporeich.

Das Böse wegrenoviert

Marseille ist auch kriminell - nicht mehr als anderswo, was Taschendiebstahl oder Rempeleien und somit Touristen angeht, aber doch, was das organisierte Verbrechen betrifft. Eine Zeitlang war es ruhig, doch bald wieder konterkarierten die alten Gangster Schlagzeilen vom "neuen Marseille", aus dem alles Böse rechtzeitig für den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt herausrenoviert wurde. 2014 ist Marseille wie eh und je. Nur mit ein bisschen mehr Farbe.

Da ist es schön, dass es Leute wie Anne-Claude gibt, die für das, was sie tut, keinen Nachnamen braucht. Sie ist Ende dreißig und hat für die Stadt zusammen mit ein paar Dutzend Gleichgesinnten das Lächeln übernommen. Es sind Leute, die Fremde an diesen Moloch heranführen und den weichen Kern hinter der rauen Schale zeigen. Es sind Menschen, die die Berührungsängste mit dieser Stadt nehmen wollen. Nirgendwo passt ihre Idee besser hin als hierher: Sie nennen sich "Marseille Greeters", weil die französische Übersetzung dafür viel zu kompliziert auszusprechen wäre und weil es das, was sie tun, schon in anderen Städten gibt. Vor zwei Jahrzehnten nahm das "Greeting" in New York seinen Anfang.

Ihre selbstgestellte Aufgabe ist es, Fremden auf zweistündigen Spaziergängen durch ihr Lieblingsviertel ihre jeweilige Heimatstadt nahezubringen - auch und vielleicht gerade wenn diese Marseille heißt. Dabei gilt: Die Führungen kosten nichts, und die Greeter arbeiten nicht nur ehrenamtlich, sie müssen für ihr Tun sogar eine - wenn auch geringe - Jahresgebühr an ihre hiesige Dachorganisation "Marseille Provence Greeters" zahlen. Trinkgelder anzunehmen ist verpönt, allenfalls Spenden für die Organisation sind okay.

Sechzig Freiwillige aus den unterschiedlichsten Berufen sind dabei, führen ganz nach Wahl durch die hauptsächlich von Nord- und Westafrikanern bewohnten Banlieues, die "Problemvororte" mit ihren Hochhäusern; oder durchs Zentrum, durch das ehemalige Schmugglerviertel Panier am alten Hafen und durch den Szene-Stadtteil mit dem Cours Julien in der Mitte. Je nachdem, wo sie selbst zu Hause sind - oder sich besonders zu Hause fühlen. Und wo sie führen, dort lächeln sie. Denn wer dabei ist, macht diese Aufgabe mit Begeisterung und das mindestens ein-, im Schnitt zweimal pro Monat.

Jede Führung ein Unikat

Wer mitgehen will, muss sich per E-Mail melden, sein Wunschthema oder -viertel benennen, ein Zeitfenster angeben und bekommt schließlich seinen Greeter zugeteilt, mit dem oder mit der dann alles Weitere direkt zu besprechen ist. Es geht nicht darum, sich zu festen Zeiten als Gruppe aus zusammengewürfelten Touristen zu treffen und dann geführt zu werden, im Gegenteil: Jede Führung wird erst für denjenigen ins Leben gerufen, der anfragt. Er kann mitbringen, wen er will, sofern er es seinen Greeter vorher wissen lässt. Zudem verschiebt die Greeter-Organisation selbst keine weiteren Gäste in eine Gruppe. Manchmal führt Anne-Claude deshalb Einzelpersonen, manchmal Paare oder Familien, ab und zu kleine Gruppen aus Freunden, die gemeinsam angefragt haben. Und wenn sie zum Zug kommt, dann geht es immer ins Panier und zum Cours Julien - weil sie zeigen will, wie lebendig diese Stadt ist. Das steht bei ihr im Mittelpunkt - nicht die schlimme Tatsache, dass die deutschen Besatzer 1943 fast zweitausend Häuser in diesem zugleich ältesten wie unübersichtlichsten Viertel Marseilles sprengen ließen, während die meisten Bewohner nach Fréjus verschleppt wurden.

Noch vor zehn Jahren galt das Panier als Quartier, das man meiden sollte: zu viele Ganoven, viel zu viel Kleinkriminalität, viele Schmuggler allenthalben in den oft engen Gassen oberhalb des alten Hafens. Inzwischen hat nicht nur die Stadt viel getan, die Lebensqualität in dem Viertel zu verbessern, vieles geschah auch aus Eigeninitiative der Bewohner.

Das Panier hat sein Gesicht massiv gewandelt, und inzwischen haben dort etliche Geschäfte neu aufgemacht, originelle Boutiquen, schräge Cafés und Pensionen. Die Menschen gehen nun gerne ins Panier, die aus Marseille und die von anderswo. Und fast keiner hätte diesen Wandel für möglich gehalten.

"Diese Veränderungen haben allerdings", erzählt Anne-Claude, "nicht nur Vorteile. Die Mieten, die früher knapp über null lagen, sind inzwischen gewaltig gestiegen. Und Menschen, die hier ihr halbes Leben verbracht haben, sind weggezogen, andere eingezogen." Auch Spekulanten haben nach dem Viertel gegriffen. Gerade erst ist am Rande des Panier in einem ehemaligen Krankenhaus ein Luxushotel entstanden.

Warum Anne-Claude solche Führungen als Greeter macht? Sie lacht, fährt sich mit der rechten Hand durch die dunklen Locken: "Weil ich mir Jahreszahlen nicht merken kann und deshalb für herkömmliche Führungen gänzlich ungeeignet bin. Ich habe aber eine Erinnerung für Gefühle. Und hier geht es darum, wie sich mein Viertel anfühlt. Das von einst und das von jetzt. Das liegt mir, daran habe ich Freude. Deshalb liebe ich dieses Konzept." Sie umarmt kurz die Kellnerin ihres Lieblingscafés, winkt dem Postler zu, geht schnell in ein Geschäft an der Straßenecke, um der Verkäuferin "Salut" zu sagen, winkt die Gruppe zu sich, stellt ihre Besucher vor.

Empathie im Vorbeigehen

Was alle, die mit Anne-Claude im Panier unterwegs sind, sofort spüren, ist vor allem eines: dass dieses schroffe Marseille Herz haben muss. Weil die Menschen es haben. Und zwei Stunden später fühlt sich diese Stadt vollkommen anders an als vor einem solchen Spaziergang. Auf einmal ist eine düstere Straße nicht mehr dunkel, sondern Heimat der Anwohner. Enorm laute Musik ist nicht mehr etwas, worum man einen Bogen macht, weil man nicht weiß, wie die Menschen drauf sind, die so wenig Rücksicht auf die Nachbarn nehmen. Sie ist plötzlich der Lebensrhythmus dieser Stadt. Und auch ein afrikanischer Markt ist nichts seltsam Fremdes in Südfrankreich mehr, sondern gehört plötzlich hierher. Die herbe, abweisende Großstadt hat eine Seele bekommen. Im Vorbeigehen. Weil jemand mit viel Empathie die Anleitung zum Hinschauen gegeben hat.

Manch einer bekommt trotz der neuen Vertrautheit - oder gerade deshalb - Lust, ein wenig zu sticheln: Ist Marseille dennoch so etwas wie die Schattenseite der Côte d'Azur? Ihr Anfang oder mehr noch ihr Ende? Marseille ist gänzlich anders, aber im Schatten steht diese Stadt deshalb nicht. Und wo hört die Côte d'Azur eigentlich auf, wo beginnt sie? Und gehört Marseille überhaupt noch dazu? Darüber herrscht Uneinigkeit. Schon immer. Die Antworten reichen vom entschiedenen "Selbstverständlich!" bis zum empörten "Natürlich nicht!". Dazwischen gibt es wenig. Was Anne-Claude dazu sagt: "Ist es nicht egal?" (Helge Sobik, DER STANDARD, Album, 8.3.2014)