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Die NSA sammelt viele Informationen - mehr also so manchen recht ist.

Foto: JASON REED / REUTERS
Grafik: DER STANDARD

Die gute Nachricht: Auch die Bedrohung einer exzessiven Überwachung durch US-amerikanische Geheimdienste wird das globale Netz nicht zerreißen können. Die schlechte: Eine globale Einigung zum Thema Datenschutz im Netz ist nicht in Sicht.

Das Web wird nie wieder das alte sein. Das Bekanntwerden der Überwachungspraxis der US-Geheimdienste hat schlagartig klargemacht, dass keine E-Mail oder Chat-Nachricht, kein Skype-Anruf wirklich privat ist. Konzerne wie Google, Apple oder Facebook, die der NSA zugearbeitet haben, müssen sich rechtfertigen und fordern nun "freien Informationsfluss" ein. IT-Security erfährt einen Boom, das Abwandern der Daten in die Cloud bremst sich ein und preisgünstige Kryptografie-Handys werden entwickelt.

Bewusstsein

Zweifellos ist mehr Bewusstsein für Privatsphäre im Internet entstanden. Der Schock darüber, dass Tatsache ist, was davor höchstens Verschwörungstheorie war, ruft aber auch Apokalyptiker auf den Plan, die den Untergang des WWW heraufbeschwören. User würden sich in Biedermeier-Manier aus dem Netz zurückziehen, und nationale Abschottung nähme überhand. Meldungen von Plänen zu einem "deutschen Internet" oder von Vorstößen für europäische Kommunikationsnetzwerke durch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel scheinen die These zu stützen.

Derartige Nationalisierungstendenzen würden allerdings "vollkommen überschätzt", ist der Völkerrechtler und Internet-Rechtsexperte Matthias C. Kettemann überzeugt. "Die Europäer achten darauf, die Souveränität über ihre Daten wieder zu erlangen." Es gehe nicht nur darum, sich in der Debatte, die die exzessive Überwachung ausgelöst hat, politisch zu positionieren. "Es ist für die Staaten durchaus geboten, die Grundrechte ihrer Bürger zu sichern, auch gegenüber anderen Staaten."

Das Argument der USA, dass man die europäische Infrastruktur nicht mit hohen Datenströmen belasten könne, werde durch ihren Ausbau entkräftet, sagt Kettemann, der an der Karl-Franzens-Universität Graz und der Goethe-Universität Frankfurt zu Internet- und nationalstaatlichem Recht forscht. Auch der Bau einer neuen Glasfaserverbindung durch den Atlantik zwischen der EU und Brasilien schlage in diese Kerbe.

Unabhängigkeit von den USA

Ein Ausbau der Netzinfrastruktur soll Europa unabhängiger von den USA machen. In den Worten Merkels, die selbst ein Abhöropfer ist, hört sich das allerdings wie ein Aufruf zum Wettrüsten an: "Wenn wir nicht den absoluten Willen haben aufzuholen, dann wird ein Fadenriss entstehen", sagt sie. Für hohe Datenschutzstandards müsse man erst die Technologie beherrschen. Ein Anti-Spionage-Abkommen mit den USA strebt Deutschland dagegen nicht mehr an.

Für besorgniserregend halten Experten eine Fragmentierung des Webs durch unterschiedliche nationale Gesetzgebungen, die darin aufeinandertreffen. Ein Film darf in einem Land downgeloadet werden, im anderen nicht. Da ist Datenschutz gut ausgeprägt, dort blüht die Netzkriminalität. Ein Zustand, der durch das Faktum der Überwachung zum heißen Thema geworden ist. Um eine einheitliche Position zum Datenschutz ringen Ländervertreter im April bei der NetMundial-Konferenz in São Paolo in Brasilien. Kettemann plädiert dafür, dass nicht nur Staaten, sondern auch Unternehmen und Zivilgesellschaft aktiv Stellung beziehen.

In Europa solle man sich zudem viel intensiver mit dem neuen Zensurgesetz in der Türkei auseinandersetzen, das Premier Recep Tayyip Erdogan durchs Parlament gepeitscht hat, rät Kettemann. Die türkische Telekommunikatonsbehörde könne nun ohne richterliches Urteil bestimmte Internetseiten sperren. Aber nur in autoritären Regimen wie in China oder dem Iran wurde eine weitgehende "Verstaatlichung" des Internets realisiert. "Dort hat man die technischen und rechtlichen Mechanismen geschaffen, um sich abzukapseln", sagt Kettemann.

Strategien autoritärer Regime

Das Sperren von unerwünschten Websites und das Filtern des Datenverkehrs ist in China Usus. Andere Staaten wie Russland versuchen über den Weg der Internationalen Fernmeldeunion, einer UN-Behörde, mehr Einfluss auf die Netzregulierung zu erringen.

Die Auswirkungen des Überwachungsskandals hat nicht nur die politische, sondern auch die öffentliche Debatte mit Misstrauen angereichert. Plötzlich findet das Webtool "Tor", das anonymisiertes Surfen erlaubt und in der Ära vor Snowden wohl nur sattelfesteren Nerds ein Begriff war, mediales Echo. Begriffe wie das Deep Net - Seiten mit teilweise kriminellen Inhalten, die in Suchmaschinen nicht auftauchen - haben Konjunktur. Dass Otto Normalsurfer nun tatsächlich per Tor-Netzwerk ins Deep Web hinabsteigt, ist dennoch eher unwahrscheinlich. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 8.3.2014)