Vorab Wesentliches: Man muss sich definitiv nicht als realitätsverweigernder Modernisierungsverlierer apostrophieren lassen, wenn man so manche Metamorphose technischer Errungenschaften des jungen 21. Jahrhunderts verweigert respektive negiert. Im Gegenteil. Trotzdem der User phonetisch nur einen Steinwurf vom Loser entfernt ist. Gerade aber als im cyberspace-interplanetarischen Berufsleben verorteter tagtäglicher User von PC, Laptop, Internet, Smartphone, Tablet & Co ist es angebracht, diese Dinge dieses unseres Lebens zu hinterfragen, bewusst einzusetzen, ganz bewusst zu verweigern oder maßvoll zu verwenden. Bestimmen sie doch ein Gros des Alltags. Nicht selten sitzt beispielsweise eine "klassische" vierköpfige Familie abends im Wohnzimmer um ein Flatscreen-Plasma-TV-Gerät geschart, und jeder Einzelne blickt stumm in irgendein "Kastl". Die Eltern rufen bis zum Schlafengehen via iPhone berufliche Mails ab, beantworten sie, die Kids chatten im Netz und machen sich über Facebook oder mit gefühlten 37 SMS einen Meetingpoint mit den "best friends" aus. "Wann?" "Weiß noch nicht ..."

Reduzieren wir die Fragestellung aber einfach einmal auf das unmoderne, in Ungnade gefallene Wort Qualität. Gibt es einen Verlust an Sprachgefühl, an Sprachkenntnis, an emotionaler Intelligenz, an sozialer Kompetenz? Oder handelt es sich nicht um einen Verlust, sondern nur um eine ganz normale legitime, der Zeit geschuldete Veränderung? "O tempora, o mores!" "Welche Zeiten, welche Sitten!", räsonierte Cicero im antiken Rom. "O tempora, o Zores!", könnte man den kulturellen Status quo subsumieren. Dabei existiert so viel Interessantes und Schönes auf der Welt, vor allem auch abseits elektronischer Infotainmentkanäle.

Qualität statt Kapitulation ...

Selbstverständlich und zweifellos gibt es durch das Internet jede Menge Vorteile, hat das weltweite Netz seine Meriten. Naturgemäß ist es heute so leicht wie nie zuvor, an Informationen zu kommen: über alles und jedes - und jeden.

Das erleichtert oft Recherchen - gleichgültig ob für private oder berufliche Zwecke. Aber gerade in diesem segensreichen Umstand liegt auch gleichzeitig dessen Fluch. Denn die Fülle an Informationen unterliegt - abgesehen von Nachrichten-Channels, Qualitätszeitungen, honorigen Institutionen - keinerlei Qualitätskontrolle. Jede Kaulquappe kann ungefragt und ungebeten, vor allem aber auch ungefiltert auf Wikipedia, Homepages und Blogs verbalen, akustischen und visuellen Sondermüll absondern, über den Äther der Mobiltelefonie "News" in die Welt zwitschern, "Follower" sammeln oder in schwachsinnigen Games virtuelle Bitcoins lukrieren, ohne dass diese Information oder Meinung hinterfragt und geprüft ist. Natürlich haben die Geräte eine gewisse berechtigte Faszination. Natürlich gibt es vor allem für Jugendliche enormen Druck durch das Kollektiv, dabei zu sein, mitzureden.

Ähnliches gilt auch für Berufstätige. Die Selbstverständlichkeit vonseiten vieler Arbeitgeber, dass mit Smartphones Mitarbeiter rund um die Uhr erreichbar sein sollen/müssen, und der allgemeine Leistungsdruck verleiten zu ständiger Verfügbarkeit. Mails am Abend, am Wochenende und im Urlaub zu lesen, zu bearbeiten und zu beantworten ist selbstverständlich. Burnout und Überlastung sind allzu oft die meist negierte Folge. Time-Management allein nutzt nichts. Nur Bewusstsein. Und bewusstes Verweigern. Disziplin einem selbst gegenüber.

"Time out" statt Overflow

Unkommunikativ wird man im Privaten. Ruhe mutiert zum Fremdwort. "Time out" sollte man sich selbst auferlegen, will man nicht zum Erliegen kommen. Allen Usancen zuwider. Wenige Menschen sind so wichtig, dass sie rund um die Uhr das rote Telefon der Atomwaffenarsenale für den Ernstfall beobachten müssen.

Die Norm lässt sich morgens im Office erledigen. Time-Sharing, um gesunder Work-Life-Balance nicht zu spotten. Ansonsten läuft unsere Gesellschaft Gefahr, in das Zeitalter der frühen Industrialisierung zurückzufallen. Also: keine Mails am Abend oder Wochenende. Wenn es die Dringlichkeit erfordert, läutet sicher das Telefon. Lobenswert in dem Zusammenhang Konzerne wie BMW und VW, die - die in Studien erfassten Gefahren erkennend - in einer Art dekretierter Dispens Mails nur während der Arbeitskernzonen auf Mobilgeräte weiterleiten.

Was haben die mobilen Geräte aus uns, unserer Sprache, unserer Kommunikation gemacht? Wie steht es mit dem Lesen und Schreiben? Wie wunderbar ist die Gutenberg-Galaxis im Gegensatz zum Internet-Marketplace. Was gibt es Schöneres, Anmutigeres als die Haptik eines schönen, in Leinen oder Leder gebundenen Buches mit Lesebändchen und schönem, gefälligem Layout, bestechender Typografie - gleichgültig ob auf dünnstem Halfa-Gras, handgeschöpften Papieren, Pergament oder Papyri gedruckt. Ganz zu Schweigen von Spinnenpapieren in Fotoalben, die hochglänzende Abzüge analoger Fotos separieren.

Lob der Gutenberg-Galaxis ...

Überhaupt: Wie elegant und charmant sind analoge Fotos im Gegensatz zur sinnlosen Bilderflut der digitalen Welt. Oft fühlt man sich so, als befände man sich in einem gallischen Dorf, wenn man, wie der Autor dieser Zeilen, noch mit einer Analogkamera fotografiert, die Filme zum Entwickeln bringt, nach Kontrolle der Kontaktabzüge und Negative Vergrößerungen ausarbeiten lässt. Idealiter schwarz-weiß. Die besten werden in Alben geklebt und stehen auch der Nachwelt zur Verfügung. Trotz innovativer Entwicklungen haben Digitalfotos bei weitem nicht denselben Charme, die Körnigkeit und Lebendigkeit.

Nicht zu vernachlässigen die Authentizität analoger Fotos, denkt man im Gegensatz dazu an die unheiligen Allianzen von Photoshop, Werbung, PR und Manipulation. Einspruch, Euer Ehren - auch früher konnte man retuschieren! Richtig, aber das war nur wenigen Spezialisten vorenthalten. - Einspruch stattgegeben!

Heute meint ja ohnehin jeder zweite Hobbyknipser, der seine Handykamera luftig in die Botanik reckt, Künstler zu sein, und penetriert die Umwelt mit artifiziell am Computer modifizierten Bildern wie weiland an unsäglichen Dia-Abenden. Unterlegt werden die Fotosessions dann stets mit Musik

Wobei unter Musik heute digitale Samples zu verstehen sind. Also diese rudimentäre, als Musik firmierende Version im MP3-Format, die auf gut ein Drittel aller realiter aufgenommenen Töne verzichtet. Da war selbst der selige Cassetten-Walkman ein Traum. Machen Sie sich einmal die Mühe und hören ein und dasselbe Musikstück von unterschiedlichen Quellen - zuerst auf Vinyl, dann auf CD und dann von einem MP3-Player. Die Ohren werden Ihnen übergehen. Sie werden Wunder erleben, nie wieder etwas aus der Quelle des iPod abspielen wollen - nicht mal in der U-Bahn. Na gut, dort schon. Geschenkt! Was aber ist das alles gegen den Charme kratzender Abspielgeräte, die Feinmotorik von Grammophonen und Plattenspielern, den Moment, wenn die Nadel sich auf die schöne, schwarz sich drehende Platte niedersenkt, die Fragilität fein gerillten Vinyls. Nicht ohne Grund nimmt die Produktion von auf buntem Vinyl gepressten Collector's Editions zu. Wie schön war es, als Schallplattensammlungen mit kunstvoll designten Covern Wohnzimmer anfüllten. Als Klasse statt Masse zählte. En contraire zum Wettstreit, wie viele Gigabytes, Soundclips, Downloads auf das digitale Abspielgerät Ihres Vertrauens passen. Als Kapitulation des Gehirns, des Gehörs kann man verstehen, dass man akzeptiert, was dem auf Mainstream getrimmten Ohr als aufgetuntes Qualitätsprodukt angedreht wird. Unabhängig vom Genre, das die verzweifelt dilettierende Musikindustrie künstlich als Hype dem p. t. Publikum ins Haus liefert.

Ortsbild vs. Marketplace ...

Apropos liefern: Natürlich ist es ein Segen, übers Netz diverse Dinge - Bücher, CDs, Kleidung und was weiß der Himmel noch - zu bestellen und mit der Post direkt nach Hause geliefert zu bekommen. Blöd nur, wenn die Post immer mehr Ämter schließt und man die Pakete dann erst quer durch den Bezirk schleppen muss. Noch blöder, wenn man dann draufkommt, dass es unter den Anbietern Ausbeuter gibt, die jeglichen Kollektivvertrag unterwandern und moderne Sklaverei einführen. Noch viel blöder, dass vor allem der lokale Handel ausstirbt. Dieser sollte vielleicht ein wenig an Service und Freundlichkeit arbeiten. Wundern darf sich aber keiner, dass durch das Aussterben von Boutiquen, Kinos, Buchhandlungen und Reisebüros komplette Grätzln zur Geisterstadt mutieren.

Es kann auch nicht sein, dass man sich unentwegt über nervende Werbespots im Fernsehen alteriert und im Endeffekt dasselbe Verhalten imitiert, indem man im Internet Filme in Häppchen zu drei bis fünf Minuten konsumiert. Inklusive aufpoppender Werbebanner.

Es ist auch gar nicht notwendig, mit dem Finger Richtung Japan zu zeigen, um auf die Existenz von Menschen, die den ganzen Tag hinter ihrem Bildschirm sitzend im Internet surfen, anstatt ein reales Leben zu führen, hinzuweisen. Sozial-Autisten gibt auch hierzulande. Und über die Freaks, die sich anonym als Poster ihren Frust untergriffig und diffamierend von der Seele schreiben, breiten wir lieber einen Mantel des Schweigens - um nicht unnötig Shitstorms oder gar Flashmobs zu evozieren.

Privatsphäre und Diskretion?

Qualität hat ihren Preis, das ist etwas, was der Generation Scheißdirnix 2.0 offenbar nicht bewusst ist. Die wollen alles. Gratis - sofort und unmittelbar. Bezahlt werden wollen sie aber schon. Und "gut leben". Kleinlich, das einzumahnen? Vielleicht kann man das Ganze anachronistisch ins Positive wenden, indem man einfach Nein sagen lernt. Bis hierher und nicht weiter. Oder aber man ergibt sich dem Fatalismus, den aktuellen Ratschlag befolgend: "Hey Mann, chillax doch einfach mal!" (Gregor Auenhammer, DER STANDARD, 8./9.3.2014)