Die Europäische Volkspartei macht den Luxemburger Jean-Claude Juncker zum Spitzenkandidaten für die EU-Wahlen im Mai. Ob er im Fall eines Wahlsieges wirklich Kommissionspräsident würde, steht nicht fest.

Zum Auftakt seines Wahlkampfes als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP) hat Jean-Claude Juncker überflüssigen Vorschriften aus Brüssel den Kampf angesagt. Die EU dürfe sich nicht in die Kochtöpfe und die Essgewohnheiten der Menschen einmischen, sagte der frühere luxemburgische Ministerpräsident am Freitag auf dem EVP-Kongress in Dublin: "Zu viel Europa im Kleinen tötet Europa im Großen."

Der 59-jährige Veteran europäischer Politik und langjährige Vorsitzende der Eurogruppe setzte sich in einer Kampfabstimmung mit 60,9 Prozent der abgegebenen Stimmen gegen den Franzosen Michel Barnier (63) durch. Der für den Binnenmarkt zuständige EU-Kommissar hatte offenbar viele Delegierte aus den südlichen Krisenstaaten der 28er-Gemeinschaft hinter sich. Hingegen genoss Juncker die Unterstützung von Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und ihrer CDU/CSU-Gruppe, dem größten Block unter den 828 Stimmberechtigten.

Für Stimmung im kühlen Konferenzsaal der irischen Hauptstadt sorgte Rockstar Bono. Der Frontman von U2 lobte die EU für ihr Engagement in der Entwicklungshilfe und im Kampf gegen Korruption, mahnte aber Solidarität auch auf dem eigenen Kontinent an: "Europa ist ein Gedanke, der zum Gefühl werden muss!" Auf Deutsch sprach der 53-Jährige von seinem Ideal der "sozialen Marktwirtschaft" - ein Begriff, der für ihn zunächst "wie eine deutsche Heavy-Metal-Band" geklungen habe. Wie viele andere Redner bedankte sich Bono persönlich bei Merkel.

Die deutsche Bundeskanzlerin ließ offen, ob sich aus der EVP-Spitzenkandidatur auch automatisch ein Anspruch auf die Leitung der neuen EU-Kommission ableitet, wie von den auf weitere Integration bedachten Brüsseler Politikern gewünscht.

Die Sozialisten haben den Deutschen Martin Schulz nominiert, für die Liberalen geht Belgiens Guy Verhofstadt ins Rennen. Alle drei vertreten aus der Sicht vieler Staats- und Regierungschefs eine allzu integrationistische Zukunftsvision für die EU.

Mehrsprachige Bewerbung

In seiner im Wechsel auf Englisch, Französisch und Deutsch gehaltenen Bewerbungsrede meldete Juncker ausdrücklich seinen Anspruch auf den Präsidentenjob an, machte sich aber die Skepsis gegenüber zu viel Brüssel zu eigen: Die EVP werde sich als Partei finanzieller Solidität und der Wettbewerbsfähigkeit präsentieren. Dabei sei die Unterstützung für mittelständische Unternehmen besonders wichtig: "Wir dürfen die Mittelständler nicht in einem Reißbach überflüssiger Vorschriften ersäufen. Sie sind keine Großkapitalisten."

Hinter den Kulissen in Dublin laufen allerdings längst Wetten, dass Juncker den Sprung in den Chefsessel nicht schaffen wird, selbst wenn die EVP im Mai stärkste Fraktion werden sollte. Als mögliche Konsenskandidaten werden der Premier Finnlands, Jyrki Katainen (43), vor allem aber der Dubliner Gastgeber Enda Kenny (62) gehandelt. Der irische Premier erhielt von Merkel höchstes Lob: Unter seiner Leitung habe Irland "eine schwere Zeit bravourös bestanden". (Sebastian Borger aus Dublin/DER STANDARD, 8.3.2014)