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Auf dem Tiananmen-Platz in Peking hat nicht nur Mao die Passanten im Blick. Eine Vielzahl an Kameras beobachtet jeden Schritt. 

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Für den Eintritt in die Große Halle des Volkes, wo seit dem 5. März Chinas Volkskongress, das Parlament des Landes, tagt, brauchen Korrespondenten einen Sonderausweis. Sie müssen ihn gut sichtbar tragen. Vor allem darf die kleine silberne Metallfolie, die rechts unten auf der Karte klebt, nicht verdeckt sein. Der hauchdünne Chip mit einer imprägnierten Miniaturzeichnung der berühmten Friedenstaube ist eher ein technisches Kunstwerk. Er birgt alle Daten, die die elektronische Eingangsschleuse braucht, um das Foto des Korrespondenten auf der Lesesäule abzubilden und diesen zu identifizieren. Erst dann darf er sich noch von Metalldetektoren durchleuchten und von Beamten abtasten lassen.

Nach der Devise "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" überprüfen die Behörden die Teilnehmer des Volkskongresses gleich mehrfach mit Hightech und mit der Hand. Das beginnt schon bei der Einfahrt mit eigenem Pkw auf den abgesperrten Tiananmen-Platz, wo geparkt werden darf. Auch das Auto braucht einen von innen auf die Frontscheibe geklebten Passierschein mit Chip. Die Lichtschranke identifiziert den einfahrenden Wagen. Danach machen sich Polizisten mit weißen Handschuhen und schnüffelnde Sprengstoff-Suchhunde über das Fahrzeug her. Auf dem Fußweg vom Parkplatz bis zum Parlamentsgebäude wird der Journalist noch zweimal kontrolliert. Dutzende an den pittoresken Laternenpfählen des Platzes aufgehängte Videokameras lassen ihn nicht aus dem Blick.

Ein Bruder für Big Brother

Willkommen im Reich der vielen sich modernisierenden Augen und Ohren. Mit ihnen eifert die Volksrepublik dem Vorbild USA nach, die als "Big Brother" auch darin weltweit die Nase vorn haben. Aber China holt auf. In kürzester Zeit deckte es sich mit an allen Ecken und Enden installierten Videokameras ein. Heute können sich die Behörden ein umfassendes, wenn auch noch grobes Bild vom Verkehr auf den Straßen bis hinein in die Taxen und in die Fahrstühle machen. Kurz nach den Olympischen Spielen 2008 gab es, so schrieb die Beijing Tageszeitung, erst 400.000 Videokameras in der Hauptstadt. Heutige Zahlen sind für jede Metropole siebenstellig. Nach den Videokameras kamen die Hightech-Netzwerke. Paten von IBM bis Cisco Systems gaben technologische Hilfestellung, weil sie auf gigantischen Absatz hofften. "China ist heute der größte und schnellste Wachstumsmarkt für Videoüberwachungsausrüstungen", freute sich noch Anfang 2013 die Fachzeitung Hi-Tech Security Solutions. Als Wermutstropfen erkannte sie in ihrem Trendbericht, dass sich chinesische Mitspieler wie Huawei Technologies oder ZTE neben dem heimischen Absatz auch in die Weltmärkte hineindrängen. Das ein Jahr später erschienene "White Paper" 2014 der IHS-Marktforscher über "Schlüsseltrends in der Videoüberwachungsindustrie" sieht China bereits einen technologischen Sprung weiter: "Cloudbasierende Lösungen werden in der Volksrepublik immer beliebter."

Nach Erde und Wolken kommt nun der Raum dran. Dank einer rasant entwickelten Chiptechnologie und der Raumfahrttechnik konnten "wir uns schneller als gedacht" ein eigenes "BeiDou" genanntes satellitengestütztes Navigationsnetzwerk zulegen. Das sagte Anfang März Chinas bekannter Wissenschaftsrat und Parlamentsdelegierte Yang Yuanxi der Volkszeitung. Von 2000 an brauchte Nachzügler China nur zwölf Jahre, um sich als vierte Nation neben den USA mit GPS, Russland mit Glonass oder Europa mit Galileo im Weltall aufzustellen. Seit 2012 steht Chinas Ortungssystem zur zivilen Nutzung in Asien-Pazifik bereit. Bis 2020 will BeiDou mit 35 Satelliten ein erdumspannendes Netz geknüpft haben und sich als globales Navigationssystem vermarkten. Noch hinke es GPS hinterher und habe Probleme, Frequenzen zu erhalten, die andere schon fast alle besetzt haben.

Ohne Datenschutzbeauftragten, ohne Transparenz und ohne freie Presse kann Chinas Öffentlichkeit nur ahnen, wer oder was sie alles kontrolliert. Vor den technologischen Fähigkeiten der Behörden, wenn es ums Abhören geht, zeigen ausländische Diplomaten Respekt. Wer zu Gesprächen in die Pekinger EU-Mission geht, muss beim Pförtner sein Handy hinterlegen. Ebenso strikt geht es in der US-Botschaft zu. Jedes Handy ist eben auch ein Sender und Mikrofon für unerwünschte Zuhörer. Das gilt auch für Ausweise, besonders wenn in ihnen Smartchips der nächsten Generation stecken. Vergangenen Dezember schockte die US-Bürgerrechtlerin Kate Krauss die Öffentlichkeit. Wie heise online berichtet, brachte sie einen neuen chinesischen Personalausweis als Muster zum 30. Chaos Communication Congress nach Hamburg. Sie forderte die Hackergemeinde auf, den RFID-Chip im Ausweis zu dechiffrieren. Sie wollte wissen, wie viele Daten darauf gespeichert werden können, wie ihr Abgleich mit externen Datenbanken funktioniert, auf welche Distanz noch mitverfolgt werden kann, wo der Ausweisträger gerade ist. Der Smartchip soll schon heute über Namen, Geburtsdatum und Adresse des Bürgers informieren, über dessen Fingerabdrücke, Gesundheitszustand, ethnische Herkunft und Zugehörigkeit zu sozialen Organisationen. In China zeigt sich schon die schöne neue Welt. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 8.3.2014)