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"Khaled, dein Blut war nicht umsoonst"

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Die Frage, was das Internet und Social Media zu dem beigetragen haben, was vor drei Jahren "Arabischer Frühling" genannt wurde, wird durchaus kontroversiell diskutiert. Niemand bezweifelt ernsthaft, dass die neuen Kommunikationstechnologien eine Rolle gespielt haben. Aber die These der Revolution aus dem Internet wird von manchen Spezialisten vehement angefochten - umso mehr, als drei Jahre später die gewünschte Folge der Revolution, die Demokratie, weitgehend ausgeblieben ist.

Einer dieser Skeptiker ist Evgeny Morozov, der generell die dunklen Seiten des Internets erforscht (The Net Delusion: The Dark Side of Internet Freedom). Für ihn sind die neuen Medien nicht mehr und nicht weniger als das, was neue Medien zu allen Zeiten waren: Instrumente, wie der Telegraf bei der Russischen Revolution, Kassettenspieler bei der Revolution im Iran, Fernseher und Faxgerät beim Fall des Eisernen Vorhangs. Er wettert dagegen, dass die "Cyber-Utopisten", wie er sie despektierlich nennt, im Internet ein Instrument sehen, das selbst einen zutiefst demokratischen Charakter hat. Nach dieser Logik müssten wohl die Kassettenrekorder, mit denen 1979 Ajatollah Khomeini propagiert wurde, von seiner Natur her islamisch und das Telegrafiegerät von 1917 bolschewistisch gewesen sein.

Von den auch als "Internet-Cheerleader" Apostrophierten wird dieser Standpunkt als "Zynismus von alternden Akademikern" - Copyright Kody M. Gerkin - und den alten Medien, die ihren Bedeutungsverlust befürchten, zurückgewiesen. Gerkin, der über die Wirkung von gewaltfreien Bildern im Internet auf die ägyptische Revolution publizierte, ist davon überzeugt, dass die neuen Medien per se, allein durch ihre Existenz, die alten Machtnetzwerke korrodieren.

Ohne das Medium mit dem - tatsächlich austauschbaren - Inhalt zu verwechseln, kann man auf alle Fälle sagen, dass Instrumente wie Online-Medien, Facebook und Twitter zweifellos den Boden für die Protestwelle von 2011 bereitet haben. Die via Facebook geführte Kampagne "Wir alle sind Khaled Said" wird von vielen als Beginn der revolutionären Bewegung gesehen, die im Februar 2011 zum Sturz Hosni Mubaraks in Ägypten führte. Khaled Said war ein junger Blogger, der im Juni 2010 von zwei Polizisten zu Tode geprügelt wurde. Sein entstelltes Gesicht ging durch das Internet - ebenso wie die Bilder der Selbstverbrennung des jungen Tunesiers Bouazizi im Dezember 2010.

Weg vom Computer

Die neuen Medien standen nicht am Anfang der Proteste, aber einmal mehr in der Geschichte der Kommunikation verschafften sie den Menschen ganz neue Bewegungsmöglichkeiten. Die politische Debatte kannte keine physischen Grenzen. Bemerkenswert ist jedoch die Erkenntnis, dass in Ägypten gerade das Abschalten des Internets durch die Behörden der Revolution einen großen Anstoß gab: Viele derer, die bis dahin vor ihren Computern saßen, machten sich auf zwei realen Beinen auf zum Tahrir-Platz. Wer weiß, vielleicht wäre der Aufstand sonst virtuell vergammelt.

Ohne Zweifel erlebte Twitter 2011 seinen großen Durchbruch in der arabischen Welt: Von 2300 täglich in Ägypten stieg die Zahl fast schlagartig auf 230.000. Was aus diesem Medium geworden ist, lässt sich leicht aus einer aktuellen Meldung von Asharq Alawsat ablesen: Es gebe mittlerweile mindestens sechs Twitter-Accounts unter dem Namen des neuen ägyptischen Premiers: Und alle seien falsch. Was da als "authentisch" durch den Äther schwirrt - besonders über laufende politische Ereignisse -, sollte man sich jedenfalls immer sehr genau ansehen.

Kritisiert wird auch oft, dass durch die Überbetonung der Rolle der neuen Medien die wahren Anliegen der Proteste in Vergessenheit gerieten. Der Blick aus dem Westen war auf eine junge, urbane, gut ausgebildete, technologisch - und deshalb auch politisch - moderne Generation von Menschen auf den arabischen Straßen gerichtet. Auch der Islam - der an den Wahlurnen zurückkehrte - wurde ja deshalb totgeschwiegen. Die sozialen Anliegen der Demonstranten, ihr Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeit der politischen und ökonomischen Systeme, wurden ausgeblendet. Morozov geht noch weiter und sagt, dass der Westen, wenn er die Bedeutung der - von ihm geschaffenen - neuen Medien bei den arabischen Umbrüchen so sehr hervorhebt, sich selbst erhöhen will. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 8.3.2014)