Wie Internet das Fernsehen verändert.

Grafik: STANDARD
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Wer vor 25 Jahren in den eigenen vier Wänden einen Film sehen wollte, der nicht auf FS 1 oder FS 2 lief, fuhr zur Videothek, zahlte ungefähr 20 Schilling fürs Ausleihen und legte daheim eine notizblockgroße Kassette in den Videorekorder ein. Via Aux-Kabel transportierte das Gerät Bild und Ton auf den Röhrenfernseher mit einer Bildschirmdiagonale von durchschnittlich 80 Zentimetern.

Die Möglichkeiten des Heimkinos heute schauen anders aus: Wer fernsehen will, könnte seinem Gerät – einer bis zu 267 Zentimeter großen, gebogenen Bildwand – ein Kommando zurufen und den neuesten Blockbuster in gestochen scharfen Bildern sehen, Zusatzangebote wie Infos, soziale Vernetzung, Videos, Fanartikel inklusive.

Vieles ist möglich in der neuen Fernsehwelt, aber manchmal scheint die Technik den Menschen davonzulaufen. Die Nutzung der Mehrheit der TV-Kunden ähnelt jener von vor 25 Jahren. So wirken die Visionen von früher, wie Internet das Fernsehen verändern werde, heute teils tollkühn, teils bewahrheiteten sie sich. Eine Auswahl.

Mythos 1: "Fernsehen ist tot."

Antwort: Pandemisch sah man "das Internet" sich ausbreiten. Heute zeigt sich: "Fernsehen hat sich mit dem Web vervielfältigt", sagt Rosa von Suess, Fachhochschulprofessorin in St. Pölten. Die Zuschauer wählen aus Sendern, TVtheken und Webplattformen. Wer Programm sucht, schaut ebenfalls ins Netz und findet in Apps seinen maßgeschneiderten Programmguide. Das bindet: Die Zeit, die Menschen vor dem Fernseher verbringen, steigt.

Mythos 2: "Jeder Zuschauer wird sein eigener Programmchef."

Antwort: DVD, Festplatte, Video on demand, Apps: Alles vorhanden, aber heimkommen, sich aufs Sofa schmeißen, berieseln lassen – das wird es immer geben.

Mythos 3: "Die Jungen schauen gar nicht mehr."

Antwort: 1997 schauten laut AGTT/ GfK-Teletest 12- bis 29-Jährige 87 Minuten täglich in die Glotze. 2013 waren es 88.

Mythos 4: "Handy-TV wird überhaupt der Renner!"

Antwort: Bewegtbilder am Minibildschirm begeisterten keinen. Abgesehen von der Unmöglichkeit, in dem Format eine halbwegs vernünftige Story zu erzählen, scheiterte es an der Finanzierung: Wer akzeptiert bei fünf Minuten Film Werbeunterbrechungen?

Mythos 5: "3-D-TV ist der nächste Hype."

Antwort: Gründe, warum das 3-D-Fieber ausblieb, lagen in Erschöpfungserscheinungen der Konsumenten. Die HD-Geräte waren nagelneu, 3-D blieb, was es war: Spielerei.

Wahrheit 1: "Die Sender verlieren an Bedeutung."

Antwort: Wer in Zukunft fernschaut, wählt Flächen. "Die Struktur stellt nicht automatisch ein Sender bereit", prophezeit Suess. Produzenten, Telekombetriebe und Hersteller bieten ebenso an.

Wahrheit 2: "Die Produzentenlandschaft verändert sich mit dem Web."

Antwort: "Das Abhängigkeitsverhältnis der Produzenten zu Sendern verringert sich", sagt Suess. Wer seinen Film machen will, bietet seine Idee nicht zwingend über den Sender an. Sponsorship gewinnt an Bedeutung.

Wahrheit 3: "Fernsehen hat sich mit dem Web neu erfunden."

Antwort: Serien wie Oz und The Wire läuteten das goldene Zeitalter des Fernsehens ein. Dank neuer Verbreitungswege hält der Boom an und befeuert transmediale Erzählstrukturen. Experimente wie About Kate (Arte) oder Add a Friend (TNT) versprechen einiges.

Wahrheit 4: "Illegale Downloads ruinieren das Fernsehgeschäft."

Antwort: 5,9 Millionen luden eine Folge von Game of Thrones illegal. Produzent HBO bleibt gelassen, die kriminellen Aktivitäten sind ja auch ein Erfolg.

Wahrheit 5: "Die Digitalisierung hat das Fernsehen revolutioniert."

Antwort: Ultra-HD auf acht Millionen Pixel: Da schauen wir aber!

Wahrheit 6: "Fernsehen ist tot."

Antwort: In 25 Jahren gibt's das Kastl nur noch "im Wohnzimmer des Retro-Fans und Antiquitäten-Sammlers", sagt ORF.at-Erfinder Franz Manola. Mythos und Wahrheit liegen nah beieinander. (Doris Priesching, DER STANDARD, 8./9.3.2014)