Der türkische Regierungschef Tayyip Erdogan lässt sich "mein Herr" oder "Patron" nennen, wenn er bei gestandenen Industriebossen anruft und sie wegen der Berichterstattung in deren Medien maßregelt. Die Mitschnitte abgehörter Telefongespräche, deren Echtheit der Premier zum Teil gar nicht erst bestreitet, geben Einblick in das krankmachende Herrschaftssystem der Türkei: ein Heer von Höflingen, das alle Vorteile einsteckt, welche die Nähe zur Macht bietet, und dafür alle Erniedrigungen erduldet; ein gewählter Sultan, dessen Verlangen nach Kontrolle mit jedem Herrschaftsjahr nur wächst.
Für ein EU-Kandidatenland, das mit jährlich 900 Millionen Euro Beitrittshilfe an den rechtlichen Standard der Union herangeführt werden soll, ist das ein bemerkenswerter Befund; der Verdacht der missbräuchlichen Verwendung von EU-Mitteln unter dem früheren Europaminister Egemen Bagis ist derzeit übrigens Gegenstand von Untersuchungen der Brüsseler Kommission. Erdogan sind die Einwände der EU gegen die Beschneidung der Meinungsfreiheit in der Türkei und die Beeinträchtigung der demokratischen Gewaltenteilung herzlich egal. Sie sind - so steht zu fürchten - auch jenseits seines Denkhorizonts.
Den sozialen Medien des Internets hat der türkische Premier "Spionage" und "unmoralisches Verhalten" vorgeworfen. Da macht es nur Sinn, was Tayyip Erdogan nun will: Facebook und Youtube in der Türkei verbieten. (DER STANDARD, 8.3.2014)