Vor mehr als zehn Jahren entwickelte sich zeitgleich an verschiedenen Orten eine Idee, die sowohl praktische als auch vollkommen utopische Momente aufwies: die Idee, dass Menschen für ihre Kommunikationsnetzwerke nicht auf Großkonzerne angewiesen sind; dass Bürgerinnen und Bürger mit relativ einfachen Mitteln drahtlose Netze aufbauen können, die ihren eigenen Regeln folgen und die frei von Überwachung sind.

Technisch beruhte dieser Ansatz auf der WLAN-Technologie, auch genannt Wi-Fi, die in den späten 1990er-Jahren als offener Standard zertifiziert wurde. Für die Übertragung über den Äther dient ein Schlupfloch im eng regulierten elektromagnetischen Spektrum, ein schmales, lizenzfreies Band im Bereich von 2,4 Gigahertz, das von allen genutzt werden darf.

Im Umfeld des Netzkunst- und Hacklabs Backspace in London entstand im Herbst 1999 eine Initiative, mehrere solcher drahtlosen Netzknoten miteinander zu verbinden. WLAN wurde zwar von den Herstellern vor allem als Technologie fürs eigene Heim angepriesen, und bekannt ist auch die Existenz sogenannter Gratis-Hotspots, doch es gibt technisch gesehen keinen Grund, warum man nicht mehrere solcher WLAN-Netze miteinander verbinden können sollte, sodass sie zusammen ein größeres Netz bilden.

Die Londoner Initiative dazu nannte sich, nicht ganz unironisch, Consume. Bandbreite war damals noch echte Mangelware. Die Initiatoren von Consume, James Stevens und Julian Priest, riefen zu einem verschwenderischen, großzügigen Umgang damit auf. Anstatt künstlicher Knappheit würde das selbstorganisierte Consume-Netz Bandbreite in Hülle und Fülle für alle bringen: für Live-Streaming von Netzradio und Video, für Games, für eigene Server, Filesharing etc.

Dosen und Uralt-PCs

Die Initiatoren von Consume entwickelten eine Idealvorstellung eines solchen Netzes und nannten es "Modell 1". Die Netzknoten sollten von den Nutzerinnen und Nutzern selbst betrieben werden. Der Aufbau des Netzes würde auf der Basis sozialer Selbstorganisation laufen, durch lokale Absprachen und Workshops. Diese Workshops sollten neben der Vernetzung der Teilnehmer auch dazu dienen, sich das nötige Wissen zu holen. Im Dezember 1999 fand der erste Consume-Workshop statt. Mit Stanniolpapier und Pringles-Dosen wurden Antennen zur Verstärkung des Signals gebaut. Als Router dienten Uralt-PCs, die jemand herangeschafft hatte.

Die Idee war, dass in diesem Netz vollkommene Gleichberechtigung herrschen sollte, auf technischer wie auf sozialer Ebene. Diese Idee, die in London ihren Ausgangspunkt hatte, fiel interessanterweise auf dem europäischen Kontinent auf besonders fruchtbaren Boden.

Während Consume heute nur mehr ein Schattendasein führt, entwickelten sich Initiativen wie Freifunk in Deutschland und Funkfeuer in Wien. Freifunk, das zuerst in Berlin entstand, ist nun in vielen anderen Städten Deutschlands aktiv, vor allem auch in kleinen und mittleren Städten wie etwa in Kassel, Erfurt oder Regensburg. Eng verbunden mit Freifunk ist Funkfeuer, ein Netz, das sich zunächst unabhängig in Wien entwickelte und nun auch Ableger in Graz und verschiedenen ländlichen Regionen hat.

Die größten bekannten drahtlosen Netze in Europa sind Guifi.net in Katalonien mit 23.000 Knoten und Athens Wireless mit 5000 Knoten. Auch in Schwellenländern wie Indonesien mit seinen zahlreichen Inseln gibt es weitverzweigte drahtlose Gemeinschaftsnetze.

Während das Wachstum und die Nachhaltigkeit dieser Netze als große Erfolge anzusehen sind, wurden dabei jedoch manche Aspekte der ursprünglichen drahtlosen Utopie etwas vernachlässigt. So zeigte sich, dass eine völlig dezentrale Organisationsform, wie von Consume vorgeschlagen, unpraktisch ist. Als sich Consume-Gründer James Stevens zurückzog und Julian Priest nach Neuseeland auswanderte, zerfiel das Netz rasch in einzelne Initiativen.

Auch zeigte sich die Utopie als nicht dauerhaft haltbar, dass jede/r gleichberechtigt mitmachen können sollte. Bestimmte technische Fähigkeiten sind einfach unerlässlich, was sich wiederum auf die Zusammensetzung der Bewegung auswirkt. Inzwischen hat sich eine Art Avantgarde der Community-Netze gebildet, die auf höchstem Niveau Software entwickelt.

Insbesondere geht es dabei um sogenannte Mesh-Network-Routing-Protokolle. Dabei handelt es sich um eine besondere Form des Routings, also der Art, wie Datenpakete im Internet von einem Knoten zum nächsten verschickt werden. In kabelgebundenen Netzen gibt es fixe Wegweiser im Netz. Bei kabellosen Netzen kann es sehr praktisch sein, diese Wegweiser beständig auf dem neuesten Stand zu halten, weil andauernd Knoten dazukommen oder wegfallen können. Statt zentraler Verwaltung muss jeder Knoten selbst wissen, wer sozusagen die "Nachbarn" sind und wie Daten vermittelt werden können.

OLSR.org und B.A.T.M.A.N.

Diese Entwicklung steckte vor zehn Jahren noch in den Kinderschuhen, was das Wachstum von Consume.net behinderte. Inzwischen haben Freifunk und Funkfeuer entscheidend zur Entwicklung von Mesh-Netzwerk-Protokollen wie OLSR.org und B.A.T.M.A.N. beigetragen. Funkfeuer, Guifi (Katalonien) und Athen sind zusammen mit mehreren großen Universitäten sogar in ein EU-Forschungsprojekt namens Confine eingebunden, das diese Techniken nun endgültig zur Reife bringen soll.

Das Testen drahtloser WLAN-Netze ist nämlich gar keine so einfache Sache. Testet man sie unter Laborbedingungen wie etwa auf virtuellen Servern, dann fehlen die realistischen Funkbedingungen. Will man zu Testzwecken eigene Funknetze aufbauen, so stellt sich das schnell als sehr mühselig heraus, vor allem wenn man eine gewisse kritische Masse an Netzknoten erreichen will. Nur die Community-Netze verfügen bereits über entsprechend große Netze mit realen Belastungen.

Damit halten sie möglicherweise den Schlüssel für die Zukunft drahtloser Bürgernetze in der Hand und entwickeln ein Modell für eine menschlichere und stärker gleichberechtigte Form der Kommunikation in digitalen Netzen. (Armin Medosch, DER STANDARD, 7.3. 2014)