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"Wer geht heute noch Schuhe kaufen, wenn er sie auch auf einen Klick bei Zalando kriegt?"

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In Deutschland, meint Christoph Burmann, beträgt der Marktanteil von E-Commerce bereits 20 Prozent.

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Am Donnerstag ging im Wiener Odeon der Thinktank "Brandspace 2014" über die Bühne. Einer der Speaker war der deutsche Markenforscher Christoph Burmann. Mit Wojciech Czaja sprach er über innovatives Markenmanagement und das Ende des Einzelhandels.

STANDARD: Sie sind Experte für innovatives Markenmanagement. Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Burmann: Als innovativ würde ich eine Markenführung dann bezeichnen, wenn sie nicht nur imagebasiert, sondern auch identitätsbasiert ist. Was heißt das? Es geht nicht nur darum, was BMW will, dass man über BMW denkt, sondern auch darum, was jeder einzelne Mitarbeiter über BMW denkt und wie er diese Marke im Berufsalltag lebt.

STANDARD: Wer sind Ihre Kunden?

Burmann: In erster Linie bin ich Leiter des Lehrstuhls für innovatives Markenmanagement an der Universität Bremen. Wir machen aber auch Forschungsberatung für Unternehmen. Anders könnten wir uns den Betrieb des Lehrstuhls auch gar nicht leisten. Zu unseren Kunden zählen diverse Banken und Versicherungsunternehmen wie etwa Allianz, LVM, Bremer Landesbank, Bayerische Landesbank und verschiedene Sparkassen, aber auch mittelständische Unternehmen wie etwa Mondelez, Beck's, Mars, Kellog's sowie Logistikunternehmen und eine ganze Handvoll Sportvereine.

STANDARD: Wie sieht so eine innovative Markenführung in der Praxis aus? Beispielsweise für ein Versicherungsunternehmen?

Burmann: Ich erkläre das mal anhand des Versicherungsdienstleisters LVM. Der Unterschied zu klassischer Markenentwicklung liegt darin, dass nicht wir die Markenidentität vorgeben, sondern dass wir analysieren, wie diese Marke bei der Kundschaft wahrgenommen wird, und diese Differenz gegenüber anderen Marktteilnehmern dann verstärken. Das Resultat dieser Untersuchung war, dass die meisten Kunden auf emotionaler Ebene das persönliche Kümmern der Mitarbeiter als Alleinstellungsmerkmal von LVM empfinden. Daraus wurden dann die Kampagne und der Slogan entwickelt: "Darum kümmern sich Ihre Vertrauensleute!"

STANDARD: Innovation heißt also Analyse?

Burmann: Im weitesten Sinne ja.

STANDARD: Wie kann man die Resultate einer Markenanalyse auf das Corporate Design und die Corporate Architecture übersetzen?

Burmann: Wir haben viele Jahre mit einer Bank in Münster zusammengearbeitet. Dabei hat sich herausgestellt, dass die bauliche Gestaltung der Arbeitsstätte, und zwar innen wie außen, dramatische Auswirkungen, auf das Wohlbefinden, die Zufriedenheit und das Engagement der Mitarbeiter hat. In einigen Fällen sogar ist die Architektur ein elementarer Bestandteil des Markenwerts. Ein gutes Beispiel dafür sind die Architekturprojekte von BMW.

STANDARD: Inwiefern?

Burmann: Im Kern dieser Marke stehen Dynamik, Freude am Fahren, purer Genuss. Es zeigte sich, dass dieses Versprechen zwar im Fahrzeug eingelöst wird, nicht aber in der Architektur beim Endkunden, denn bei den BMW-Autohäusern handelte es sich lange Zeit um austauschbare Pappkartons, null Dynamik, nichts dergleichen. In einer riesigen Offensive wurde dann ein neues Händlerdesign entwickelt, das die Marke BMW in ihrem Designanspruch repräsentiert. Der Höhepunkt dieses Architektur-Redesigns war der Bau der Münchener BMW-Welt von Coop Himmelb(l)au.

STANDARD: Welche Rolle im baulichen Markenauftritt spielt das Employer-Branding, also das Miteinbeziehen des Werts als Arbeitgebermarke?

Burmann: Noch gar keine. Employer-Branding ist ein wunderbares Phänomen, das in der Fachwelt heiß diskutiert wird, doch die Praxis sieht anders aus. Employer-Branding wird nur von den wenigsten Unternehmen angewandt. Ich schätze, es wird noch einige Jahre dauern, bis sich dieses Phänomen tatsächlich im Unternehmensalltag niedergeschlagen haben wird.

STANDARD: Ich würde gerne noch ein weiteres Thema ansprechen, und zwar den Stellenwert des E-Commerce im gewerblichen Alltag.

Burmann: Da kann ich nur sagen: Leidensdruck ist der beste Katalysator für schnelle Veränderung.

STANDARD: Das heißt?

Burmann: Wir beobachten ein starkes Vordringen des E-Commerce, und zwar zulasten des klassischen stationären Einzelhandels. In Deutschland beträgt der Marktanteil des E-Commerce mittlerweile 15 bis 20 Prozent. Wer geht heute noch auf einen Bummel durch die Stadt, um in diversen Schuhgeschäften nach seinem präferierten Modell zu suchen, wenn er das alles auf einen einzigen Klick bei Zalando haben kann? Das digitale Shopping ist mittlerweile weit verbreitet, und zwar nicht, weil Zalando so genial ist, sondern weil der physische Einzelhandel so blöd ist.

STANDARD: Was schlagen Sie vor?

Burmann: Der physische Einzelhändler muss dringend handeln. Denn zu glauben, dass man es mit einer gewissen Internetpräsenz mit den Zalandos und Amazons dieser Welt aufnehmen kann, ist eine Illusion. Ich empfehle daher, auf jene Karte zu setzen, die auch das eigentliche Kapital des Einzelhandels ist und die im E-Commerce niemals zum Tragen kommen wird: Diversifizierung, Beratung und individuelles, persönliches Service. Wer sich dieser Herausforderung nicht stellt, der wird früher oder später den Bach runtergehen.

STANDARD: Welche Auswirkung wird der E-Commerce auf die gebaute Umwelt haben?

Burmann: Ich fürchte, wir werden es in unseren Städten demnächst mit einem enormen Gewerbeleerstand zu tun haben. In einigen, vor allem kleineren Städten macht sich das heute schon bemerkbar. Lokale Möbel- und Elektrohändler sterben aus. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sich dieses Phänomen ausbreiten wird.

STANDARD: Kein Zurück mehr?

Burmann: Nein. Denn wenn der Konsument einmal gelernt hat, dass im Internet alles billiger und besser ist, dann hört er auf, sich überhaupt noch weiter umzugucken. Ein perfektes Beispiel dafür ist die Billigfluglinie Ryanair. Wer geht heute noch ins Reisebüro, wenn er billig von A nach B kommen will? Niemand. Alle machen diesen da (Mausklick, Anm.). In Teilbereichen - und das meine ich sowohl geografisch als auch branchenspezifisch - hat der E-Commerce bereits gewonnen.

STANDARD: Und was soll mit den leer werdenden Gewerbeflächen passieren?

Burmann: Die meisten großvolumigen Gewerbebauten sind monofunktional geplant. Dieses billigst errichtete Zeug einer Zweitnutzung zuzuführen halte ich für ausgeschlossen. Das ist weder baulich noch ökonomisch in einem vertretbaren Rahmen machbar. Daher sehe ich nur eine Lösung: Abbruch und Ende. Oder schleunigst umdenken. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 8.3.2014)