"Es wird keinen Krieg zwischen unseren Brudervölkern geben", sagt Walentina Matwijenko. Vor einer Woche noch hatte die Vorsitzende des russischen Föderationsrats zusammen mit ihren Kollegen Präsident Wladimir Putin zum Militäreinsatz in der Ukraine ermächtigt. Ein Dialog ist seither zwischen Moskau und Kiew nicht zustande gekommen.
Stattdessen hat Matwijenko am Freitag eine Delegation aus Simferopol empfangen. Der Föderationsrat hat- so wie das Unterhaus des Parlaments, die Duma - das Beitrittsgesuch der Krim-Führung begrüßt, das nachträglich von der dortigen Bevölkerung abgesegnet werden soll. Dass die Abspaltung der Krim in Kiew hitzigen Protest auslöst, lässt Moskau kalt. Die neue ukrainische Führung gilt im Kreml ohnehin als illegitim.
Der juristisch umstrittene Machtwechsel in Kiew - Präsident Wiktor Janukowitsch wurde nur einen Tag nach Unterzeichnung eines Kompromissabkommens gestürzt - hat den Gerechtigkeitssinn vieler Russen verletzt. Zumal die Frage, wer die Todesschüsse auf dem Maidan abgegeben hat, immer noch nicht geklärt ist - außer im russischen Staatsfernsehen, wo die Schuldfrage quasi als bewiesen gilt. Die Zustimmung der Bevölkerung zu einem Eingreifen ist daher riesig. Putins Umfrage-Rating ist nach der Demonstration von Stärke auf der Krim auf einem Zweijahreshoch.
Nach der von den russischen Medien eifrig gesteuerten Kampagne sind laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM ganze 71 Prozent der Russen der Ansicht, dass die russische Bevölkerung auf der Krim "aktiver geschützt" werden muss. Ein plötzlicher Rückzieher würde Putin daher innenpolitisch unter Druck bringen. Der Prozess zur Angliederung der Halbinsel - möglicherweise zunächst als Druckmittel in den Verhandlungen mit Kiew begonnen - hat sich damit verselbstständigt.
Es bräuchte schon schlagkräftige Argumente, um den russischen Präsidenten, der sich bei seiner Politik auch stets von den eigenen Popularitätswerten hat leiten lassen, zu einem Eingeständnis zu bewegen. Auch wenn Putin in einem Interview vor wenigen Tagen Ambitionen auf die Krim noch zurückgewiesen hat, vertritt der Politologe Fjodor Lukjanow die Ansicht, dass sich Russland weder durch Angebote noch durch Drohungen von der Übernahme abbringen lasse. "Es wird am Ende darauf hinauslaufen, dass die Krim als russisches Föderationssubjekt von kaum einem anderen Staat anerkannt wird und es zwischen Russland und der Ukraine zu einem langwierigen Konflikt darüber kommen wird", sagte er dem Standard, schloss allerdings eine militärische Auseinandersetzung zunächst aus.
Das Drohpotenzial des Westens schätzt Lukjanow (so wie auch der Kreml) als gering ein. Ein Nato-Beitritt der Ukraine sei unwahrscheinlich. "Die Nato nimmt kein halb zerfallenes Land auf." Sollte es tatsächlich dazu kommen, könnte auch die Ostukraine verloren gehen, warnt er. Auch an eine mögliche Schließung des Bosporus durch die Türkei - die Schutzmacht der Krimtataren - glaubt Moskau nicht. Die türkische Führung habe mit dem syrischen Konflikt genug Probleme.
Die Krim wird der russischen Führung dennoch gewaltige Probleme bereiten; vor allem wirtschaftlich, wo die Region jährlich rund 1,8 bis 2,2 Milliarden Euro an Zuschüssen braucht. Völlig unklar ist zudem, wie Russland die Stromversorgung sicherstellen will, wenn Kiew die Leitungen auf die Halbinsel kappt.
Der Aufbau von Transport- und Energierouten von russischer Seite auf die Krim aus würde laut Expertenschätzungen etwa drei Jahre dauern. (André Ballin aus Moskau, DER STANDARD, 8.3.2014)