Parteiprogramme der SPÖ aus 125 Jahren.

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"Werden die Wahlergebnisse schlechter, wird der Ruf nach einem neuen Parteiprogramm lauter", sagt Josef Cap.

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Es waren die Kröten, die Josef Cap die Augen geöffnet haben. Mit Staunen erfuhr der Vizeklubchef der SPÖ unlängst, dass seine Bezirkspartei Wandertunnel durchgesetzt hat, damit die Amphibien die Durchzugsstraßen zerquetschungsfrei queren können. "Wir tun so wahnsinnig viel", sagt Cap, "doch viele Leute bekommen davon nichts mit." Und so fuhren auch die Hernalser SPler, obwohl "Könige des An-die-Türen-Klopfens", bei der letzten Wahl ein Minus ein.

"Früher hätte ich gesagt, wir müssen die Kommunikation verbessern", erzählt Cap, doch heute, von der Bürde der vordersten Front erleichtert, hat er keine billigen Ausreden mehr nötig. Diesmal will der 62-Jährige eine echte Trendwende anstoßen, "Bindungen erzeugen", "Netzwerke knüpfen", der Sozialdemokratie neue "Lebenswelten" erschließen. Möglich machen soll dieses Kunststück ein ehrgeiziges Projekt: ein neues Parteiprogramm.

Der Startschuss ist ertönt. Vergangenen Donnerstag trafen sich Parteidenker, Jungaktivisten, Ländervertreter und andere interessierte Köpfe, um einen Aktionsplan abzustecken. Verantwortlich sind Cap und ein weiterer Haudegen, der Pensionistenchef Karl Blecha, doch den ersten Input liefert Karl Duffek. Der Chef des Renner-Instituts wird bis Sommer einen Katalog von etwa 25 Fragen ausarbeiten, die das Programm beantworten soll. Für den Frühherbst sind dann ein oder mehrere Auftaktevents geplant.

Erst 2016 soll das Opus magnum fertig sein, doch so mancher Genosse weiß jetzt schon, was drinnen zu stehen hat. "Ich habe keine Lust mehr, mittlere Wege zu diskutieren", ruft Alessandro Barberi, "Sozialismus ist das Ziel - over." Applaus brandet auf im roten Bildungszentrum in der Praterstraße, wo sich die Basis zu einem theoriebeladenen Debattensamstag getroffen hat. Ein "Back to the roots" reklamiert der erklärte Marxist, Lehrgangsleiter der "Debatte Sozialismus" in der Wiener SPÖ, ins geplante Programm, auf dass die in der Finanzkrise entfesselte "Höllenmaschine" des Kapitalismus zertrümmert werde. "Die Widerstandskämpfer unter euch werden sich wundern, warum ich nicht die Krach'n auspacke", sagt Barberi. "Ihr habts das damals gemacht - und heute ist die Situation dieselbe."

Marxisteln gegen den Markt

Aus dem Establishment kommt prompter Widerspruch - nicht nur wegen der historischen Analogien. In Form der Planwirtschaft habe schon einmal eine reine Lehre in die "soziale und ökologische Katastrophe" geführt, hält Cap, neben Barberi und Blecha auf dem Podium, entgegen: "Weil du da herummarxistelst: Was wir nicht wollen, sind geschlossene Glaubensbilder. Deshalb bin ich ja auch aus der Kirche ausgetreten."

Auch das Gros der Basis will wohl nicht in den bewaffneten Untergrund abtauchen, doch einen Nerv hat Barberi getroffen: Viele Genossen beklagen vermeintliche Kniefälle ihrer Partei vor dem Turbokapitalismus - und halten das letztgültige Parteiprogramm von 1998 für das Dokument der Kapitulation. Eine "Versöhnung mit dem Neoliberalismus" habe das im Hype um den "dritten Weg" von Tony Blair, Gerhard Schröder & Co erstellte Papier versucht und das Credo desaströser Deregulierung und Privatisierung adaptiert, sagt Blecha: "Es ist nicht unsere Aufgabe, am Krankenbett des Kapitalismus Injektionen zu verabreichen. Wir wollen die Zustände ändern."

Parteiakademiechef Duffek hingegen hält die neoliberale Schlagseite für eine Unterstellung - immerhin arbeiteten am 98er-Programm Persönlichkeiten wie Barbara Prammer, Renate Brauner und Caspar Einem mit, die bedingungsloser Marktgläubigkeit unverdächtig seien. "Es hat auch wenig Sinn, über ein grundsätzliches Ja oder Nein zum Kapitalismus zu diskutieren", sagt Duffek. "Was immer wir ins Programm schreiben: Es wird ihn weiter geben."

Dass einst auch Sozialdemokraten am Finanzmarkt das Geheimrezept vermutet hatten, um den Sozialstaat zu finanzieren, sei allerdings nicht zu bestreiten - ein aktuelles Programm müsse sich deshalb Ideen für die Regulierung widmen. Noch viele andere Antworten gelte es zu finden, etwa auf die Klima- und Energiekrise oder die politischen Bewegungen des Arabischen Frühlings, sagt Duffek, "aber wichtiger als das gedruckte Endprodukt ist die Auseinandersetzung davor". Schließlich wünsche sich die Basis vor allem eines: "Dass wir in der Partei wieder intensiver miteinander reden."

Auch Josef Cap hört die Signale. "Werden die Wahlergebnisse schlechter, wird der Ruf nach einem neuen Parteiprogramm lauter", sagt der Routinier im Wissen, dass sich die Geschichte angesichts der Erosion der SPÖ nicht ewig wiederholen kann: "Noch ein Minus ist nicht möglich." (Gerald John, DER STANDARD, 10.3.2014)